Donner: Die Chroniken von Hara 3
hatten Typhus’ Tier bereitwillig in ihrer Mitte aufgenommen. Shen kümmerte sich um das Lagerfeuer, während sich Typhus einen warmen Pullover über die Schultern geworfen hatte, gegen ein Rad gelehnt dasaß und ihn aus halb geschlossenen Augen beobachtete. Als sie mich bemerkte, nickte sie mir zu, doch ich sah mich nicht veranlasst, den Gruß zu erwidern.
»Darf ich dich kurz sprechen?«, fragte mich Shen in kaltem Ton.
»Mhm«, brummte ich nur, denn mir schwante, was er von mir wollte.
»Lass uns ein ruhigeres Plätzchen dafür suchen.«
»Wenn du willst. Obwohl mir das nicht nötig erscheint.«
Als wir den Wagen hundert Yard hinter uns gelassen hatten, platzte Shen mit seiner Frage heraus: »Warum hast du sie nicht umgebracht?«
»Und warum hast du es nicht getan?«, fragte ich grinsend zurück. »Du hast schließlich weit mehr Gründe als ich, ihr den Tod zu wünschen. Nach allem, was sie dir in Alsgara angetan hat, meine ich.«
»Weil ich angenommen habe, du hättest
deine Gründe,
sie nicht auf der Stelle zu erledigen«, räumte er zögernd ein. »Deshalb wollte ich erst von dir hören, was hier Sache ist.«
Ich sah ihn grinsend an.
»Was ist?«, brummte er.
»Diese Worte aus deinem Munde. In der Regel verhältst du dich weniger besonnen.«
»Damit wäre wohl ein für alle Mal geklärt, dass ich im Gegensatz zu dir kein hoffnungsloser Fall bin! Also, was hast du dir dabei gedacht, als du sie hier angeschleppt hast?«
»Ich brauche ihre Hilfe.«
»Das kann doch nicht dein Ernst sein! Typhus ist schlimmer als eine Schlange, die du an deiner Brust nährst. Bei ihr musst du gewärtig sein, dass sie dir jederzeit den Kopf abbeißt! Und nicht nur dir!«
»Gut möglich.«
»Die Verdammte hat dich an der Angel wie ein Fischer seinen Fang! Ich trau ihr nicht über den Weg!«
»Ich auch nicht. Aber wenn ich mit ihrer Hilfe Lahens Mörder finde …«
»Ist dir vielleicht schon mal in den Sinn gekommen, dass dieses Dreckstück Lahen getötet hat?«
»Durchaus.«
»Und?!«
»Ich habe keine Beweise.«
»Seit wann hätte dich das je aufgehalten?«, höhnte Shen.
»Typhus will den Tod dieses Unbekannten genauso sehr wie ich.«
»Und das glaubst du ihr? Die lügt doch das Blaue vom Himmel herunter!«
»In dem Fall bräuchte sie uns nicht und hätte uns schon längst erledigt, genug Gründe, uns zu hassen, hat sie.«
»Glaub mir, sie wird uns umbringen!«
»Gut möglich. Aber solange sie von diesem Vorhaben noch absieht, will ich mir ihre Hilfe zunutze machen. Auch wenn sie hundertmal eine Verdammte ist.«
»Und da lädst du sie einfach ein, sich uns anzuschließen?! Noch dazu als freier Mensch, nicht als unsere Gefangene?!«
»Habe ich denn eine andere Wahl? Oder schlägst du etwa vor, sie zu fesseln und zu knebeln?«
»Das wäre das Dümmste nicht«, murmelte er. »Allerdings würde es uns wohl kaum vor ihr schützen.«
»Eben. Wir können sie nicht an die Kandare nehmen. Wenn die Verdammte möchte, bringt sie uns beide um, dich wie mich. Aber ich bin mir sicher, dass es für sie fürs Erste von Vorteil ist, uns am Leben zu lassen. Später … werden wir dann weitersehen. Wenn du sie aber im Auge behalten willst, bitte, das sei dir unbenommen.«
»Trotzdem ist und bleibt es ein Spiel mit dem Feuer.«
»Auf das ich mich jedoch einlasse. Mich kann nichts von meinem Ziel abbringen, nicht mal die Aussicht, mir die Finger zu verbrennen.«
»Bei der Gelegenheit: Gib mir den Funkentöter zurück, den du dir klammheimlich von mir
ausgeborgt
hast«, sagte er und streckte fordernd die Hand aus.
»Nein.«
»Was heißt hier
nein?
«, fragte er, während flammende Zornesröte in seine Wangen schoss.
»Genau das, was du darunter verstehst. Bei dir ist er nicht in sicheren Händen. Wenn ich ihn dir stehlen konnte, dann kann Typhus das erst recht.«
»Was für ein Vertrauen in mich!«
»Das ist keine Frage des Vertrauens, sondern des gesunden Menschenverstands. Wenn die Verdammte die Klinge in die Hände bekommt, ist dein Leben ebenso wie das von Rona in wesentlich größerer Gefahr als jetzt.«
»Als ob Typhus das Artefakt dafür bräuchte!«, schnaubte Shen, wenn auch schon etwas friedfertiger. »Gut, gib mir den Funkentöter zurück, wenn wir im Regenbogental sind. Die Mutter hat mir befohlen, ihn einer Schreitenden zu übergeben.«
»Von mir aus«, willigte ich ein. Zum Schein, versteht sich. »Allerdings glaube ich, du hast immer noch nicht ganz begriffen, was Lahen dir gesagt hat. Solltest du
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