Donner: Die Chroniken von Hara 3
eine Woche, und das Gras, selbst das höchste und dichteste, würde den Kampf gegen den Wind aufgeben, sich niederlegen und einer durchwehten Ödnis Platz machen. Dann würde es noch kälter werden …
Wir hofften inständig, zu diesem Zeitpunkt Dörfer erreicht zu haben.
Ich legte den nächsten Pfeil ein, zog die Sehne meines »gezähmten Monsters«, wie Shen den Bogen nannte, zurück, spürte, wie die Befiederung meine Wange streifte und schoss. Der Pfeil flog in hohem Bogen zum Himmel hinauf, näherte sich den niedrigen, dräuenden Wolken, durchbohrte sie fast, setzte dann aber zum Sturzflug an, um schließlich zitternd im Ziel stecken zu bleiben.
»Aus, du Hund!«, rief Yumi triumphierend, vollführte einen Salto rückwärts und landete wie eine Katze auf allen vieren.
»Er sagwat, dass er höchst beeindruckwat ist«, übersetzte mir Ghbabakh. »Ein Treffer aus einer Entfernungwa von mehr als dreihundertundfünfzigwa Yard!«
»Freut mich, dass ich zu eurer Unterhaltung beitragen kann, Jungs«, sagte ich und hob meine Jacke auf, die ich anzog, während ich auf mein Ziel zuging. Yumi folgte mir.
Als er sich daranmachte, mir zu helfen, indem er die Pfeile aus der Zielscheibe zog und in den Köcher zurücksteckte, erhob ich keine Einwände. Ich schnappte mir mein aus Brettern gezimmertes Ziel, legte es mir über die Schulter und ging zurück.
Voller Neugier untersuchte der Blasge meinen Bogen, berührte dabei die Sehne aber nur mit äußerster Vorsicht, als fürchte er, die Waffe zu zerbrechen. Pah! Die war doch kein Strohhalm!
»Wir benutzen kweine Bögwen«, erklärte er, als er meinen Blick auffing.
»Ich weiß, ihr gebt dem Wurfbeil den Vorzug.«
»Das Wurfbeil ist für Kwinder und gwewöhnliche Männer. Aber wir Khagher, also die Kwariegwer unter uns, gwareifen zur Streitaxt.«
Ich hatte das berühmte Sumpfheer zwar noch nie gesehen, hatte aber gehört, dass die Khagher diese schwere Waffe fast fünfzig Yard weit zu schleudern vermochten. Deshalb konnte ich mir lebhaft ausmalen, welche Breschen sie damit in die Reihen ihrer Gegner schlugen.
»Wie fühlst du dich heute, Menschlein? Bist du immer noch so traurigwa?«, erkundigte sich der Blasge besorgt nach meinem Befinden.
»Ich komm schon zurecht.«
»Du hast dir meine Worte also nicht zu Herzen gwenommen«, stellte Ghbabakh fest. »Es ist nicht gwut, dass du dich von innen tötest.«
»Wir Menschen unterscheiden uns eben von euch Blasgen. Wir trauern um diejenigen, die von uns gegangen sind.«
»Aus, du Hund!«
»Yumi sagwat, dass das nicht stimmt. Wenn jemand stirbt, gwarämen sich alle Gweschöpfe. Und alle Gweschöpfe dieser Welt sind Kwinder Khaghuns.«
»Ihr solltet diese Fragen vielleicht besser mit einem Priester des Meloth erörtern, nicht mit mir. Ich könnte mir vorstellen, das wäre für alle Beteiligten höchst aufschlussreich.«
»Aus, du Hund«, bemerkte Yumi und sah mir fest in die Augen.
»Die Verdammte, die du gwestern mitgwebracht hast, sieht nicht wie ein Weibchen aus. Das erstaunt Yumi. Er nimmt an, dir ist da ein Fehler unterlaufen.«
»Nein, das ist die Verdammte Typhus, daran besteht gar kein Zweifel. Shen und ich, wir sind ihr schon früher in diesem Körper begegnet.«
»O ja, uns ist durchaus aufgwefallen, dass der Jungwe diesen Mann kwennt.«
Man hätte Shens Miene sehen sollen, als ich mit Typhus zurückgekehrt war. Zur Ehrenrettung des Jungen sei jedoch festgehalten, dass er sie nicht gleich mit ein paar Zaubern oder auch mit bloßen Fäusten angegriffen hat. Beides hätte ich ihm ohne Weiteres zugetraut. Doch sein Gesichtsausdruck hatte Bände gesprochen. Er hatte nicht vergessen, wie Typhus ihn gefangen genommen hatte, mit ihm über Alsgara geflogen war und ihn erniedrigt, ihn – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne – in den Dreck getreten hatte.
Heute hatte er noch kein Wort mit mir gewechselt, die ganze Zeit nur finster dreingeblickt und war dann irgendwann abgezogen, um sich um Rona zu kümmern.
Das Mädchen hatte sich meine Worte offenbar zu Herzen genommen und verzichtete jetzt auf Streitereien mit Shen. Sie kam immer mal wieder für knapp eine Stunde zu sich, die übrige Zeit schlief sie jedoch, weinte oder brabbelte völlig unverständliches Zeug. Deshalb mochte Shen mir noch so oft versichern, sie befände sich auf dem Weg der Besserung – ich war da anderer Ansicht.
Bei unserem Rastplatz war alles wie gehabt, ruhig und still. Der Wagen stand parallel zur Straße. Unsere beiden Pferde
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