Donner: Die Chroniken von Hara 3
Krächzen eines Raben zu hören.
Ga-nor kannte nur noch ein Ziel: den Feind einzuholen. Er glich nunmehr jenem legendären Irbis des Ug, der seiner Beute nachjagte, die es um jeden Preis zu fangen galt. Die Schnelligkeit, mit der er durch den Wald preschte, hätte jedem Boten des Imperiums zur Ehre gereicht. Selbst nach dem Kampf barst er geradezu vor Kraft. Seine Muskeln krampften sich nicht vor Müdigkeit zusammen, die Lungen brannten nicht wie Feuer. Doch während seine Gedanken kalt und berechnend waren, tobte in seinem Herzen eine alles vernichtende Wut, der er indes nicht nachgab.
Der Vorsprung des Nabatorers schmolz mit jeder Sekunde dahin wie ein Zuckerhut in einem Fass voll kochenden Wassers. Auf einer kleinen Lichtung blieb Ga-nor stehen, legte sich flach auf den Boden, presste das Ohr gegen die Erde, schrie innerlich triumphierend auf, veränderte die Richtung und setzte die Jagd fort. Schon nach einer Minute hörte er, wie der Mann, der offenbar nicht wusste, wie man sich im Wald bewegte, sich seinen Weg durch die Sträucher brach.
Als ein Blitz aufzuckte, sah Ga-nor den Rücken des Mannes vor sich. Der schien seinen Verfolger zu spüren, denn er drehte sich um, stieß einen halb erstickten Schrei aus und warf die Waffe von sich, um noch schneller laufen zu können. Er hatte allen Grund, Angst zu haben: Ihm war ein unbarmherziger, wilder und durch und durch nasser Irbis auf den Fersen.
Ga-nor brauchte nur noch wenige kräftige Sätze, dann hatte er den Nabatorer erreicht. Er schoss durch die Luft, fiel dem Mann in den Rücken und begrub ihn unter sich – und unter seinem Dolch.
Nachdem sich Ga-nor wieder erhoben hatte, schüttelte er sich wie ein wildes Tier, wobei ihm die Haare auf die Schultern klatschten. Da ihm ein Zweig die Wange aufgeritzt hatte, drückte er den Handrücken gegen die blutende Wunde. Sein rechtes Jochbein, dem der Nabatorer bei ihrem Zweikampf eben einen Faustschlag verpasst hatte, brannte inzwischen wie Feuer.
Er hob die Leiche ein wenig an und warf sie sich über die Schulter, als wöge sie nichts, um sie in einer Mulde zwischen den Wurzeln eines Baumes zu verstecken und mit feuchten Blättern zu tarnen.
Auf dem Rückweg sammelte er seine Jacke und seine Stiefel wieder ein.
»Da platzt doch die Kröte!«, rief Luk aufgebracht. »Wo bist du denn bloß gewesen? Ich bin vor Sorge schon halb verrückt geworden!«
»Wo sind die Toten?«
»Die hab ich versteckt. Ganz in der Nähe.«
»Gut gemacht.«
»Willst du meinen Umhang? Nicht? Bitte, es ist dein gutes Recht, triefnass durch die Gegend zu krauchen.«
»Wir müssen sofort weiter, dieses Geplänkel hat uns schon zu viel Zeit gekostet«, erklärte Ga-nor. »Sieh also zu, dass du nicht zurückbleibst.«
»Bei Meloth!«, stöhnte Luk. »Den Spruch kenn ich. Und er hängt mir, ehrlich gesagt, schon zum Hals raus.«
»Pass auf, dann kommt er dir bald auch noch zu den Ohren raus«, entgegnete Ga-nor mit einem unschönen Grinsen.
»Wenn wir bloß der Verdammten nicht in die Arme laufen!«, grummelte Luk – doch da sprach er bereits mit dem Nichts. Ga-nor war längst weg. Fluchend packte er den Streitflegel, rückte den Rundschild auf dem Rücken zurecht und eilte seinem Gefährten nach.
Der überstürzte Aufbruch mündete in einen hitzigen Lauf, bei dem Luk einzig darauf achtete, seinen Freund nicht aus den Augen zu verlieren.
Mit der Zeit beruhigte sich das Gewitter ein wenig. Es blitzte und donnerte nicht mehr, nur der Regen pladderte noch, als habe er sich gegen die beiden verschworen. Den Espenhain hatten sie inzwischen weit hinter sich gelassen, nun schlugen sie sich durchs Unterholz, wobei sie darauf achteten, in der Nähe der Hügel zu bleiben und jede offene Fläche zu meiden.
»Wir haben’s geschafft, oder?«, wollte Luk schwer atmend wissen.
»Das wird sich zeigen«, antwortete Ga-nor, während er sich ein Lager unter einem einzelnen Baum einrichtete. »Lass uns hier auf die anderen warten.«
»Wie du meinst«, murmelte Luk erschöpft. »Hast du was dagegen, wenn ich derweil ein Nickerchen mache?«
»Tu dir keinen Zwang an.«
Luk seufzte, machte es sich bequem und schlief sofort ein. Die nächste halbe Stunde saß Ga-nor reglos da und lauschte in die regnerische Nacht hinein, bis er schließlich eine kleine Runde drehte, um sich die Beine zu vertreten.
Der Regen, der jetzt längst nicht mehr so wütend niederging, brachte kaum noch Kälte mit sich. Doch mit einem Mal kam es hinter den Hügeln, dort, wo
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