Donner: Die Chroniken von Hara 3
Stellung im leeren Raum umher. Die Tür quietschte noch leise, gab dann aber Ruhe.
Möglicherweise hätte ich ja all das auf ein Zusammenspiel meiner blühenden Phantasie und der Zugluft geschoben – hätten nicht die Pferde in ihrer Panik fast den Verstand verloren. Wenn sich bloß in der Nähe keine Untoten herumtrieben! Mit einem Messer, selbst einem scharfen, würde ich gegen diese Kreaturen nichts ausrichten. Deshalb wollte ich zu meiner Schlafstätte zurück und mich mit etwas Soliderem bewaffnen.
Ich eilte hinaus und rannte fast zurück. Kurz vor der Tür hielt ich abrupt inne. Was, wenn eines dieser Biester auf dem Dach lauerte und sich gleich auf mich stürzte?
Der Tag war weiter heraufgezogen, der Nebel hatte sich etwas gelichtet. Grabesstille umgab mich, selbst das Plätschern im Brunnen war verstummt. Ich änderte meine Richtung und hielt nun auf den Wagen zu, um Ghbabakh zu wecken – als mich jemand mit leiser Stimme rief.
Das Messer noch fester packend, fuhr ich herum.
Etwa vierzig Schritt vor mir stand eine Frau. Ihr Gesicht konnte ich nicht genau erkennen, nahm nur strohblondes Haar wahr. Und einen dunklen Rock, den ich kannte: So einen hatte Lahen gern getragen. Schon im nächsten Moment war sie hinterm Haus verschwunden, in der Luft hing nur noch die immer leiser werdende Stimme – die genau wie die von Lahen klang.
Wie angewurzelt blieb ich stehen.
Natürlich hätte ich jetzt einen der anderen wecken sollen, damit wir uns gemeinsam im Weiler umsahen. Nur ertrug ich diese Ungewissheit keine Sekunde länger. Ich musste mich auf der Stelle davon überzeugen, dass es sich nicht um ein Trugbild handelte. Deshalb umrundete ich das Haus, behielt dabei aber die Straße im Blick. Nach wenigen Schritten hatte ich den Rücken der halb im Nebel verborgenen Frau wieder vor mir.
Die Unbekannte verharrte auf einem Feld. Abermals konnte ich kaum glauben, wie sehr sie Lahen glich. Ich musste an mich halten, nicht ihren Namen zu rufen. Aber offenbar hatte sie meinen Blick gespürt, denn mit einem Mal drehte sie sich zu mir um. Kaum sah ich ihr Gesicht, wich ich entsetzt zurück. Es war seltsam. Schrecklich. Zusammengesetzt aus verschiedenen Gesichtern.
Lahen, Ghinorha, Ceyra Asani und die Verdammte Lepra – sie alle steckten in dieser Frau.
Dann jedoch geschah etwas, das sich überhaupt nicht mehr erklären ließ: Die Unbekannte überwand den keineswegs geringen Abstand zwischen uns mit nur zwei Schritten.
Es war wie in einem Traum. Ich zwinkerte, rührte mich nicht vom Fleck und dachte gar nicht mehr an mein Messer – bis es zu spät war, weil sie unmittelbar vor mir stand. Ein verschrumpelter Schädel mit kalten dunkelblauen Augen schob sich an mein Gesicht, Modergestank und der bittere Geruch nach Wermut stiegen mir in die Nase, kräftige Finger schlossen sich um meinen Hals.
Als ich endlich mit dem Messer zustach, nützte das rein gar nichts. Die Klinge schien in eine faule Eiche zu dringen, nicht in einen menschlichen Körper. Ohne irgendwelchen Schaden anzurichten, blieb sie im Holz – nein, im Körper dieser Frau! – stecken. Jemand musste meine sämtlichen Kräfte bis zur Neige ausgetrunken haben, denn ich vermochte keinen einzigen Schlag mehr auszuführen. Nebel umwogte die grauenerregende Fratze, sodass sie vor meinen Augen verschwamm und sich auflöste.
»Ness! Kämpfe!« War das Lahen, die da schrie? »Schlag sie!«
Nichts anderes wollte ich ja … nur raubte mir jeder Versuch den letzten Atem.
»Schlag dieses Viech!«, brüllte Lahen ebenso wütend wie verzweifelt. »Worauf wartest du noch?!«
Ein stechender Schmerz durchfuhr meine Brust, die Lungen drohten, gleich zu platzen, Tausende von Kohlen mussten in ihnen glühen. Nun rissen sie mir das Fleisch auf – und polterten heraus. Endlich konnte ich wieder frei atmen. Ich fiel auf die Knie und rang nach Luft. Alles um mich herum drehte sich. Jemand stieß einen entsetzlichen Schrei aus. Ich tastete nach meinem Messer, ohne zu verstehen, dass es bereits im Körper dieser unbekannten Frau steckte, die über mich hergefallen war.
Ich musterte sie: Mittlerweile hing ihre Kleidung in brennenden Fetzen an ihr, ein Auge fehlte. Trotz der Wunden verfolgte sie jedoch unverändert die Absicht, mich zu töten. Wahrscheinlich hätte sie diesen Wunsch auch in die Tat umsetzen können, wenn sie nicht abermals angegriffen worden wäre.
Ein weißer Blitz schoss über mich hinweg, durchbohrte dieses Monstrum, riss es in Stücke und setzte das
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