Donner: Die Chroniken von Hara 3
Nachfahren wenigstens noch einen Tropfen der Launenhaftigkeit Alenaris erkennen ließ?
Vier Nabatorer führten nun den Gefangenen herein. Sein edles Gesicht war zerschlagen, und in seinem Schnurrbart klebte Blut. Dennoch sah der junge Ritter sie herausfordernd an.
»Geht hinaus!«, verlangte Mithipha mit leiser Stimme. Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, war sie auch schon allein mit dem Gefangenen. »In deinem Land nennt man mich die Verdammte Scharlach.«
»Ich weiß, wer du bist.«
Er blickte sie unverwandt an und hielt es offenbar nicht für nötig, ihr mit der gebotenen Höflichkeit zu antworten. Mithipha gefiel das. Zuweilen ertrug sie die ewigen Verbeugungen, die Liebedienerei und schönen Worte nur mit größter Mühe.
»Umso besser«, erwiderte sie. »Darf ich dann auch deinen Namen erfahren?«
»Lofer rey Gant.«
»Mhm. Ich habe von deinen Vorfahren gehört. Eine edle und ehrenswerte Familie.«
»Dann sollte dir auch bekannt sein, dass wir niemals mit unseren Feinden kooperieren.«
»Verzeih mir, aber ich kann mich nicht erinnern, dich um ein Entgegenkommen dieser Art gebeten zu haben, Ritter«, antwortete sie mit einem verschlagenen Grinsen.
»Weshalb bin ich dann hier? Und warum lebe ich noch?«
Shider stieß ein heiseres Krächzen aus.
»Bisher war mir nicht bekannt, dass du so erpicht darauf bist zu sterben. Aber diesen Wunsch kann ich dir natürlich gern erfüllen. Soll ich?«
Darauf antwortete Lofer mit keinem Wort.
»Das habe ich mir gedacht. Wie alle Menschen hast auch du es nicht allzu eilig, ins Reich der Tiefe einzugehen«, höhnte sie und rief die Nabatorer wieder herein: »Löst ihm die Fesseln. Gebt ihm seine Waffen zurück und stattet ihn mit einem Pferd und Proviant aus. Dann lasst ihn frei.« Als sie bemerkte, dass die Männer sie ungläubig ansahen, fragte sie: »Was ist?«
»Nichts, Herrin«, antwortete einer von ihnen rasch.
»Ihr haftet mir mit eurem Kopf für sein Leben.«
Mithipha betrachtete den fassungslosen Ritter mit einem Lächeln auf den Lippen. Der Mann vermochte nicht zu glauben, dass ihm gerade das Leben geschenkt worden war.
Sie trat wieder zu ihrer Ruhestatt, wartete, bis alle das Zelt verlassen hatten, und streckte sich genüsslich noch einmal aus.
Im Bett zu liegen liebte sie nicht weniger als ihre Lektüre. Gleichwohl stand ihr im Augenblick nicht der Sinn danach, ein Buch aufzuschlagen. Leise summte sie eine alte Nabatorer Ballade über eine unvergängliche Liebe vor sich hin.
Der Gesichtsausdruck des Ritters fiel ihr wieder ein. Sie musste grinsen. Er hatte tatsächlich geglaubt, sie lasse ihn aus einer flüchtigen Laune heraus ziehen.
»Folge ihm, Shider«, befahl sie dem satten Raben, der sofort die Flügel spannte und – wenn auch widerwillig – davonflog.
Sollte dieser Herr rey Gant den Ort kennen, an dem sich seine Gefährten treffen wollten, würde er sich mit Sicherheit unverzüglich dorthin begeben. Unter diesen Männern gab es aber einen, in dessen Adern das Blut der Falken floss. Damit böte sich ihr, Mithipha, doch noch die Gelegenheit, Alenari eine freudige Überraschung zu bereiten. Falls sie sich jedoch täuschte … sei’s drum.
Dann hatte sie dem Mann tatsächlich das Leben geschenkt. Sie konnte getrost auf seinen Tod verzichten, denn im Unterschied zu Rowan war sie eine satte Katze: Überflüssige Beute gab sie wieder frei.
Sie verbrachte noch mehr als eine Stunde voller Genuss im Bett, dann stand sie frisch und munter auf. Es wurde Zeit, sich wieder ernsthaften Dingen zuzuwenden. Nachdem sie die Bronzeschüssel mit Wasser zum Bett gebracht hatte, setzte sie sich hin, schlug die Beine unter und wirkte ein Silberfenster, wobei sie sich das Gesicht ihres Gegenübers vorstellte.
Letzteres bereitete ihr in diesem Fall stets gewisse Probleme, galt es doch, etwas heraufzubeschwören, das in dieser Weise schon lange nicht mehr existierte. Am Ende gelang ihr der Zauber indes.
Dabei hatte Mithipha kaum auf eine Antwort zu hoffen gewagt, denn seit einiger Zeit ignorierte Alenari sie geflissentlich. Diesmal aber griff sie den Zauber auf, und im Wasser zeichnete sich ihr von der Maske verborgenes Gesicht ab.
Da es regnete, trug Alenari einen schwarzen Umhang, dessen Kapuze sie sich tief ins Gesicht gezogen hatte.
»Ich grüße dich«, sagte Mithipha.
»Sei auch du gegrüßt«, erwiderte Alenari. »Was habt ihr für Wetter?«
»Es unterscheidet sich kaum von dem in der Steppe. Es regnet in Strömen.«
Alenari schnaubte
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