Donner: Die Chroniken von Hara 3
das erste Mal begegnet sind, bist du zwar stärker geworden, und dein Funke brennt heute auch gleichmäßiger. Aber das heißt noch lange nicht, dass du einmal bedeutender sein wirst als ein durchschnittlicher Schreitender.«
»Worauf willst du hinaus?«, fragte Shen misstrauisch.
»Ich könnte deine Ausbildung fortsetzen.«
»Bitte?!«, entfuhr es ihm. »Wie kommst du darauf, dass ich mich je auf dich als Lehrerin einlassen würde?«
»Weil ich hoffe, dass du am Ende doch nicht der Dummkopf bist, für den du dich gern ausgibst. Deine Ausbildung steckt noch in den Kinderschuhen. Es ist bedauerlich, dass sie so plötzlich endete. Aber wenn du etwas erreichen willst, musst du sie abschließen. Da du den ersten Schritt gemacht hast, solltest du auch den zweiten wagen. Sonst wären alle Anstrengungen Lahens umsonst gewesen. Und das willst du doch nicht, oder? Außerdem …«, sie zögerte kurz, ehe sie fortfuhr, »… außerdem wirst du nur dann eine Chance haben, den Schreitenden etwas entgegenzusetzen.«
»Ich bin auch so imstande, mich zu verteidigen!«
»Und das sagt mir ein Mann, den ich mühelos in den Dreck getaucht habe«, bemerkte Typhus. »Oder hast du das bereits vergessen? Ich nämlich nicht. Aber wenn du auch in Zukunft das Leben eines Wurms führen willst, bitte.«
»Wir haben das Regenbogental fast erreicht«, erwiderte er. »Was sollte ich mir in der kurzen Zeit schon noch aneignen …?«
»Mehr, als du denkst. Vor allem, wenn du dich geschickt anstellst. Obendrein sind diese wenigen Tage besser als gar nichts. Ich kann dich nicht in der Heilkunst unterweisen – aber dunkle Kampfzauber, die kann ich durchaus beibringen. Und zwar ohne Zahl.«
Shen sah mich entgeistert an. Ich zuckte bloß die Achseln.
»Das ist deine Entscheidung«, sagte ich dann doch. »Ich kann dir keinen Rat geben. Denn ich verstehe von alledem nichts.«
»Was versprichst du dir davon, mich auszubilden?«, wandte er sich daraufhin an Typhus.
»Zum einen bin ich einfach neugierig zu sehen, wozu du fähig bist. Zum anderen ist es immer von Vorteil, wenn nicht nur ein Mensch von uns seine Gabe sicher kontrollieren kann, sondern zwei.«
Was ich von dieser rührenden Sorge Typhus’ hielt, ließ ich mir nicht anmerken.
»Und zu guter Letzt ist mir langweilig. Da kommst du mir gerade recht, um mir ein wenig die Zeit zu vertreiben.«
»Bringst du es eigentlich irgendwann mal fertig, nicht an dich zu denken?«, murmelte ich.
»Was willst du?«, entgegnete Typhus. »Wir denken doch alle immer nur an uns. Und jetzt lasst uns etwas essen. Dem Duft nach zu urteilen ist das Fleisch durch.«
Ich widersprach ihr nicht. Während ich Typhus folgte, grübelte ich weiter darüber nach, warum sie Shen ausbilden wollte. Denn verraten hatte sie uns den wahren Grund nicht.
Am nächsten Morgen war es sehr kalt, auch wenn am blauen Himmel die Sonne strahlte. Typhus setzte ihre Überredungskünste fort. Wenn sie nur wollte, wickelte diese Frau jeden um den Finger. Sie legte mir hundertundeinen Grund dar, einer überzeugender als der andere, warum wir uns auf gar keinen Fall ins Regenbogental begeben durften.
Ich fluchte halbherzig. Die Entscheidung war längst getroffen. Und Typhus hatte letzten Endes nicht mehr anzubieten als ihr ständiges: »Ich will den Tod der Mörder genauso sehr wie du.« Doch je näher wir dem Regenbogental kamen, desto unruhiger wurde sie.
Bei der nächsten Rast versuchte sie erneut, mir klarzumachen, wie dumm unser Verhalten sei. Ich parierte, indem ich sie fragte, ob sie etwas Neues über die Ereignisse im Anwesen erfahren habe. Als sie mir darauf keine Antwort gab, zuckte ich bloß mit den Achseln.
Nach wie vor zog sich die Straße ohne Abzweigungen dahin. Uns blieb also ohnehin nichts anderes übrig, als ins Regenbogental zu fahren. Ich befingerte wieder die Kette und nahm mir vor, unbedingt eine der Schreitenden in der Schule nach ihr zu befragen.
Zu meiner unbeschreiblichen Verwunderung hatte sich Shen tatsächlich überwunden und dazu bereit erklärt, sich von Typhus weiter ausbilden zu lassen. Kaum legten wir die erste Rast ein, nahmen sie den Unterricht auf.
Ob sie Erfolg hatten, vermochte ich nicht zu sagen. Erkennen ließ sich jedenfalls nichts. Shens neue Lehrerin stellte sich als noch strenger, giftiger und ungeduldiger heraus als Lahen. Nachdem ich die beiden eine Weile beobachtet hatte, langweilte mich das Schauspiel aber, erschöpfte es sich doch in dem verächtlichen Geschnaube Typhus’.
Auch
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