Donner: Die Chroniken von Hara 3
gab sich Rona mit meiner Erklärung zufrieden. Lahen hatte recht gehabt: Nicht alle Schreitenden wussten von diesen Artefakten der Vergangenheit.
»Das war jetzt aber auch schon alles, was ich euch über das Regenbogental zu erzählen gedenke«, sagte Typhus, ohne meine Lüge aufzudecken. »Selbstverständlich birgt es noch viele weitere Geheimnisse, aber in die werde ich euch nicht einweihen. Nachdem der Koloss vollendet war, begab sich Cavalar nach Alsgara. Dort starb er unter den bekannten Umständen. Ich würde übrigens vorschlagen, hier rechts abzubiegen.«
»Die große Straße stellt mich vollauf zufrieden«, widersprach ich.
»Nein, bieg lieber rechts ab«, sprang Rona da Typhus bei. »Es ist eine Abkürzung, die geradewegs zu einem Tor in die Schule führt. Andernfalls müssten wir noch durch drei Dörfer und durch die Viertel der Händler auf der anderen Seite reiten. Das würde uns mehr als vier Stunden kosten, dann kämen wir erst nachts an.«
»Ich habe nichts gegen ein paar Dörfer«, murmelte ich.
Shen war jedoch ebenfalls dafür, die Abkürzung zu nehmen, sodass ich an der Kreuzung nach rechts abbog.
Nach dem Dorf mit den Marodeuren, die uns diesen liebreizenden Empfang bereitet hatten, waren wir noch durch zwei weitere Dörfer sowie eine kleine Stadt am Ufer eines Sees gekommen. In ihnen hatten wir erfahren, was sich im Land tat – und zwar in einer Weise, dass wir getrost ein Jahr lang auf jede weitere Neuigkeit verzichten konnten.
Selbstverständlich hatten alle über den Krieg im Süden und im Osten gesprochen und darüber gerätselt, wann er sie wohl erreichen würde. Die meisten Gespräche kreisten darum, ob sie Heim und Herd aufgeben und nach Loska oder nach Burg Donnerhauer gehen oder lieber bleiben sollten.
Die Menschen erschreckte die Aussicht, ihr Land zu verlieren, weit mehr als die Gefahr, von Nekromanten angegriffen zu werden. Die Nabatorer fürchteten sie im Grunde gar nicht, denn sie hofften, diese würden ihnen schon nichts Übles tun, da ja alle Arbeitskräfte und bestellte Felder brauchten. Darüber hinaus gingen die Männer davon aus, dass bei einem Angriff auf sie oder ihre Frauen Äxte und Heugabeln immer zur Hand wären. Obendrein war der Wald nahe.
Auf den Gedanken, dass sie nach einer Begegnung mit diesen Feinden den Weg in den Wald mit den Beinen voran antreten dürften, kam meiner Ansicht nach keiner von ihnen.
So war nur ein kleiner Teil der Menschen nach Westen gegangen.
Manche hatten auch behauptet, sie hätten hier oder da die Verdammten gesehen. So wollten Matrosen beispielsweise Typhus in der Nähe von Loska getroffen haben, wo sie auf den Wellen geritten sei und dem Imperium Sturm, Angst und Hunger gebracht habe.
Als Typhus diese Märchen gehört hatte, wäre sie beinahe in schallendes Gelächter ausgebrochen.
Weiter hatte es geheißen, die Verdammte Lepra habe die Treppe des Gehenkten genommen und ziehe jetzt gegen Korunn. Dagegen sei der Verdammte Pest in den Erlik-Sümpfen ertrunken, nachdem die Nekromanten ihn verraten hätten. Scharlach beabsichtigte angeblich, alle Kinder des Imperators zu töten und ihre Leichen an das Reich der Tiefe zu verfüttern. Ganz zu schweigen von all den lebenden Toten, die in den Gemüsebeeten auftauchten, oder einer geheimnisumwitterten Frau, die mit einer großen Einheit die Straße heruntergeritten, dann auf die Felder abgebogen und in den Himmel hinaufgeflogen sei.
Nur über die Schreitenden und das Schicksal der Schule konnten sich diese Schwatzschnäbel nicht einigen. Die einen hatten versichert, die Schule habe sich inzwischen zu einer uneinnehmbaren Festung gemausert und der Turm heize den Verdammten tüchtig ein, während die anderen überzeugt waren, die Schreitenden seien längst geflohen, entweder nach Korunn oder über das Meer. Dritte wiederum hatten beteuert, die Schreitenden hielten sich mittlerweile alle in Alsgara auf, während das Regenbogental unter dem Schutz der Leibgarde des Imperators stünde.
Typhus hatte diese Geschichten und Geschichtchen aus vollem Herzen genossen, gewiehert wie ein Pferd, sich vor Lachen den Bauch gehalten und am Ende sogar selbst ihr Garn gesponnen, um den Bauern eine Gänsehaut über den Rücken zu jagen.
Shen dagegen hatte diese Lügenmärchen mit verkniffener Miene aufgenommen. Es wollte ihm einfach nicht in den Kopf, wie diese Menschen derart dummes Zeug glauben konnten, vor allem, da das Regenbogental doch gewissermaßen um die Ecke lag, sie es also wirklich hätten
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