Donner: Die Chroniken von Hara 3
besser wissen müssen. Mich hatte ihr Gerede weniger verblüfft. Nachbarn erzählen schließlich oft Sachen übereinander, dass einem die Haare zu Berge stehen. Und so, wie sie hier lebten, völlig abgeschieden und in Furcht vor Marodeuren und Räubern, musste jedes Gerücht mit unzähligen Einzelheiten ausgeschmückt werden – bis es am Ende nur noch puren Unsinn darstellte.
»Trotzdem glaube ich Shens Geschichte nicht«, riss mich Rona aus meinen Gedanken.
Ich warf einen Blick auf Shen und Typhus, die jetzt beide vor dem Wagen herritten, und antwortete leise: »Warum sollten wir dich anlügen? Der Turm hütet seine Geheimnisse. Das solltest du doch eigentlich am besten wissen.«
»Aber keine Geheimnisse dieser Art! Ich hasse diese Verdammte!«
Sie durchbohrte Typhus mit einem wütenden Blick.
»Noch stärker als Kira?«, fragte ich nach.
»Kira war ein Miststück, das sich für etwas Macht verkauft hat. Sie ist es nicht einmal wert, dass wir uns an sie erinnern.«
»Trotzdem tust du es«, rief ich ihr sanft in Erinnerung.
»Verrat vergisst niemand«, erwiderte sie. »Sie ist meine Freundin gewesen. Meine liebste Freundin. Und dann hat sie bei der erstbesten Gelegenheit unsere Freundschaft in den Dreck getreten. Ich glaube, wenn die Verdammte Lepra meiner überdrüssig geworden wäre, dann hätte Kira mich umgebracht. Mit dem größten Vergnügen sogar. Aber Typhus …? Sie ist der Inbegriff des Bösen. Das lese ich in ihren Augen. Du darfst nicht annehmen, der neue Körper habe ihren Charakter verändert. Ihr Funken und ihre Seele sind noch genau so wie früher.«
»Aus, du Hund«, pflichtete ihr Yumi bei, der eingerollt zwischen uns lag. Ghbabakh folgte weit hinter uns dem Wagen.
»Vielen Dank«, wandte sich Rona an den Waiya. »Sie wird Shen vergiften …«
»Er war bereits
vergiftet,
wie du es nennst. Obwohl ihm das ganz gut bekommen ist, wenn du mich fragst. Wenn er nicht über den dunklen Funken verfügt hätte, dann säßen wir jetzt wohl kaum alle zusammen. Aber damit wären wir wieder bei unserem alten Thema, nämlich wer oder was eigentlich böse ist, die Magie an sich oder der Funkenträger …«
»Aber jetzt bildet Typhus ihn aus, nicht Lahen! Kannst du dir wirklich nicht vorstellen, wie das endet?«
»Vertraust du Shen?«, wollte ich wissen.
»Ja«, antwortete sie zögernd. »Ja, das tue ich.«
»Dann muss sich etwas in dir verändert haben, seit du ihn angegriffen hast«, erwiderte ich lächelnd.
»Worauf willst du damit hinaus?«
»Mir ist nicht entgangen, wie ihr euch in letzter Zeit anseht, sobald ihr glaubt, allein zu sein.«
Röte überzog Ronas Wangen, doch den Blick senkte sie nicht.
»Aus, du Hund!«, bekräftigte auch Yumi.
»Damit will ich ja nur sagen, dass ich jetzt ruhig schlafe, weil ich nicht mehr davon ausgehe, du würdest ihn zum Duell fordern«, behauptete ich.
»Dann verstehst du also, warum ich mir wegen Typhus solche Sorgen um ihn mache, oder?«, fragte sie.
»Ich will dir ja nichts vorschreiben, Mädchen, aber meinst du nicht, du solltest mal darüber nachdenken, ob Vertrauen nicht weitaus mehr zählt als jeder Zweifel? Echtes Vertrauen wird nicht mal von einem Sturm erschüttert, während der leiseste Windhauch Zweifel schürt. Solange du jemandem vertraust und ihn unterstützt, ist es höchst unwahrscheinlich, dass dir etwas Schlimmes widerfährt. Zweifel stellen jedoch den ersten Schritt in Richtung Grab dar. Oder ins Reich der Tiefe, das du so sehr fürchtest und vor dem du ihn unbedingt beschützen willst. Ich kenne Shen noch nicht sehr lange. Manchmal führt er sich wirklich wie ein dickschädliger kleiner Junge auf. Aber er ist nicht dumm. Sonst hätte Lahen ihn auch nicht ausgebildet.«
»Das alles spielt keine Rolle, wenn ihn jetzt eine Verdammte in die Lehre nimmt.«
»Da hast du ja recht«, brachte ich ruhig hervor, auch wenn ich innerlich anfing zu kochen. »Aber zwischen euch beiden gibt es einen großen Unterschied: Du bist eine Schreitende, er ist ein Heiler.«
Dieses Argument beeindruckte sie nicht sehr, mein überzeugter Ton brachte sie jedoch zum Nachdenken. Die nächsten zwanzig Minuten fuhren wir schweigend dahin.
Doch schließlich wandte sich Rona erneut an mich: »Das Regenbogental liegt hinter diesem Hügel.«
»Ziemlich menschenleer, die Gegend.«
»Die Straße ist alt, die nimmt nur selten jemand.«
»Mhm.«
»Normalerweise treiben allerdings die Hirten ihr Vieh hierher. Wir haben ihnen erlaubt, unsere Weiden zu benutzen.
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