Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
deutschen Voraustrupp. Zwei getroffene Gardisten werden ins
Schloss getragen. Die Königin bittet den König, den ungleichen Kampf zu beenden.
Um 7.20 Uhr, vier Stunden nach dem Überfall kapituliert Dänemark. 16 dänische Soldaten
sind tot. Der sozialdemokratische Verteidigungsminister Alsing Andersen wendet sich
mit folgenden Worten an das Volk: »Der Mut, den wir in der gegebenen Situation brauchen,
ist, sich die harten Tatsachen vor Augen zu führen und danach zu handeln. Es ist
damit zu rechnen, dass seit bald anderthalb Stunden ein völlig ungleicher Kampf
in Nordschleswig ausgefochten wird. Auch hier in der Stadt, vielleicht auch anderenorts,
wird gekämpft. Wenn man sieht, dass das Resultat schon gegeben ist, muss man meiner
Meinung nach weitere Opfer vermeiden. Ich bin in dieser Lage bereit, die Mitverantwortung
dafür zu übernehmen.«
»Elender Verräter!«, knurrt der
Bruder, als er die Worte aus dem Radio hört.
»Wir müssen
jetzt in jedem Fall ruhig bleiben und erst einmal abwarten, was geschieht!«, erwidert
der Vater.
»Wir müssen
uns wehren, Vater! Das können wir uns nicht gefallen lassen!«
Die äußere Welt ist identisch mit
dem Verstand.
Die innere
Welt ist eins mit dem Herzen.
Doch in
solchen gewalttätigen Zeiten sind die Vorgänge in der äußeren Welt so gigantisch
groß, dass der Verstand eines kleinen Mädchens sie nicht einmal annähernd begreifen
kann. Und das Herz ist voll mit unaussprechlicher Angst, eine Angst, die den Boden
bereitet für ein inneres Leiden, welches langsam, ganz langsam einen Keim des Hasses
wachsen lässt. Ein Hass, der erst in ferner Zukunft zur Rache reifen wird. Aase
weiß noch nichts vom Hass, hat keine Ahnung, was er in einem Menschen anrichten
kann.
Es gibt
nur einen Mann, der den Hass in die Welt bringt, sagen alle, der Bruder, der Vater
und die Mutter, der Lehrer und auch Herr Rosen. Das ist dieser wahnsinnig blickende
Mann mit den verkrampften Händen, der mit seinem schnurgeraden Scheitel im Haar
und dem scharfkantigen Viereck seines Schnurrbarts manchmal in der Zeitung abgebildet
wird. Der führt weiter einen Krieg mit der ganzen Welt, sagen sie alle. Und alle
guten Dänen fürchten sich davor, dass dieser Mann aus Dänemark bald Deutschland
macht.
Fast synchron, noch während Aase
vor dem Kaufmannsladen von Herrn Rosen die Gedanken an diesen schrecklichen Mann
durch den Kopf gehen, schreibt der Befehlshaber der deutschen Marinetruppen in Dänemark,
Admiral Mewis, in sein Tagebuch:
Am gestrigen
Tage mehrere feindliche Einflüge mit stärkeren BAW (Bombenabwürfen) der Engländer
im westlichsten Mitteljütland. Sachschaden, Zivilpersonen verletzt: Tiefangriff
auf Flugplatz Rom. Fliegermeldung nach Berlin. Herausgabe eines Tagesbefehls an
die Truppen in Dänemark anlässlich des Führergeburtstags.
»Aase, Mädchen!«, rufen die Frauen
im Laden. »Hör gefälligst, wenn Herr Rosen dich ruft und kauf endlich die Sachen
für deine Mutter. Die wartet bestimmt schon darauf, dass du heimkommst!«
Aase kann
die Mahnungen nicht mehr hören. Oben auf dem Hügel, hinter dem alten Leuchtturm,
gibt es in diesem Moment einen ohrenbetäubenden Knall, gefolgt von einem lauten
Donnergrollen, das nachhallend zu dem Mädchen herabrollt und einschüchternd durch
ihren Körper vibriert.
Das war
die Kanone! Jetzt haben die Deutschen die große Kanone abgeschossen!
Aase hält
den Atem an, so lange sie kann, bleibt bewegungslos im Donnerhall gefangen, bis
das Grollen langsam verklingt. Vor ihren Augen ist alles noch genauso wie davor,
nichts ist passiert. Der kurze Moment der Stille ist wie das Erwachen aus dem Schlaf.
Doch genauso schnell, wie das Donnergrollen verflogen ist, geht das Leben weiter,
die schrillen Stimmen der Frauen im Laden sind schon wieder zu hören. »Aase, Mädchen,
wo bleibst du denn?«
Das magische Theater
Unscheinbar nähert sich der Tag,
an dem Oleander Eschenberg sterben wird. Dabei führte er lange ein Aufsehen erregendes
Leben. Doch auch ein solches Leben entwickelt im Fluss der Zeit einen gewissen Alltag,
der selbst Höhepunkte in immerwährende Routine verwandelt. Die fade Eintönigkeit
der gewöhnlichen Leben, wie sie viele Menschen führen, ist dem nicht gänzlich unähnlich.
Oleander
Eschenberg ist ein großer, muskulöser Mann mit graublauen Augen. Sein dichter, roter
Haarschopf besteht aus sonnengebleichten Locken, und sein meist zotteliger Bart
sieht nicht viel anders aus. Jedermann hat es schwer, auf
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