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Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)

Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)

Titel: Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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gibt es
die ersten Anzeichen für eine beginnende Freundschaft.
    Oleanders
Eltern halten nicht viel von dem Nachbarssohn. Für den Marineoffizier und die Pferdezüchterin
ist er ein ungezogener Bengel, der in einem Wirtshaus aufgewachsen ist, wie ein
streunender Hund die Gegend unsicher macht und mit seinem jugendlichen Leichtsinn
kein gutes Vorbild für ihren Sohn abgibt. Doch Oleander ist ihre Meinung schnuppe.
Kilian hat Fähigkeiten, die ihn unweigerlich in den Bann ziehen. Besonders seine
schauspielerische Begabung begeistert Oleander, Kilian äfft aus dem Stehgreif die
militärische Zackigkeit seines Vater nach und flüstert ihm grinsend ins Ohr: »Hast
du auch ein Taschentuch dabei?«, bevor seine Mutter es ihm im gleichen Tonfall hinterherruft,
wenn sie gemeinsam losziehen und das Haus verlassen.
    In Kilians
kleinem Zimmer stapeln sich die Bücher bis unter die Decke und fast alle haben etwas
mit dem Meer zu tun, Robinson Crusoe zum Beispiel, Moby Dick, Die Schatzinsel, Der
alte Mann und das Meer und natürlich Der Seewolf. Jack London mochte er als Jugendlicher
am liebsten.
    »Weißt du,
was Jack London über das Surfen geschrieben hat?«, fragt Kilian ihn eines Tages
und zieht geheimnisvoll die Augenbrauen hoch.
    Oleander
zuckt verlegen mit den Achseln, während Kilian zielsicher nach einem dünnen Bändchen
greift, es an einer geknickten Seite aufschlägt und mit leidenschaftlicher Stimme
vorträgt:
    »In der
Tat fühlt man sich mikroskopisch klein, und der Gedanke daran, mit diesem Meer zu
ringen, lässt den Nervenkitzel düsterer Vorahnungen aufsteigen, beinahe Angst. Immerhin
sind sie eine Meile lang, diese Monster mit ihrem gewaltigen Schlund, und sie wiegen
tausend Tonnen und eilen weitaus schneller der Küste zu, als ein Mensch laufen kann.
Welche Chance hat man da? Überhaupt keine Chance, ist das Urteil des schrumpfenden
Egos.«
    »Monster?
Was meint dieser Scheißkerl mit diesen Monstern?«
    »Wellen,
Ole, gewaltige Wellen! Hoch wie ein Hochhaus! Du hast echt keine Ahnung.«
    Kilian sieht
Oleander mit weitgeöffneten Augen an. Oleander spiegelt sich in seinen Pupillen,
klein und weit entfernt. »Solche Wellen gibt es gar nicht, Alter!«, sagt er trotzig.
    »Gibt es
wohl, auf Hawaii, da kann man auf solch hohen Wellen surfen. Jack London hat das
getan, vor fast 100 Jahren. Was dieser Scheißkerl kann, dass können wir doch schon
lange, oder?«
    »Wie meinst
du das?«
    »Willst
du weiterhin über die Pipiwellen der Nordsee paddeln? Lass uns abhauen aus dieser
miesen Gegend, Ole, nur wir beide, du und ich!« Kilians Stimme klingt besessen wie
Kapitän Ahab aus Moby Dick, und sein Gesichtsausdruck funkelt vor Überzeugung. »Komm,
wir hauen ab nach Hawaii und da surfen wir uns die Seele aus dem Leib. Nur surfen,
für den Rest unseres Lebens!«
     
    Erst 1993, ganze sechs Jahre später,
wird ihre Vision endlich Wirklichkeit. Kilian und Oleander landen auf dem Flughafen
von Kahului. Die Trauminsel Maui empfängt sie mit dem betörenden Geruch von Yasmin,
Plumeria und frisch gemähtem Gras. Ihr Gepäck Surfboards, Rucksäcke, Schlafsäcke,
ein Zelt und ein Seesack voller Klamotten.
    Vor der
Abreise hatte Oleander seiner Mutter noch voller Trotz einen Zettel hingelegt: An
meine biologischen Erzeuger, ich will mich in der nächsten Zeit ein wenig durch
die Weltgeschichte treiben lassen, um ein paar meiner Träume zu verwirklichen. Deshalb
fehlt etwas Geld auf Mamas Konto. Das ist natürlich nur ausgeliehen und ich zahle
es irgendwann zurück. Macht euch keinen Kopf, ich konnte einfach nicht anders. Ich
melde mich.
    Kilian und
er hatten keine andere Möglichkeit mehr gesehen, um endlich wirklich loszukommen,
weg aus der miefigen Enge der Provinz. Sie waren in den Jahren zuvor bereit gewesen,
jede auch noch so wahnwitzige Maloche anzunehmen, um ihre Kasse aufzustocken. Aber
mit Holzhacken, Zeitungsaustragen und Rasenmähen kamen im Laufe der Zeit nur mehrere
100 Märker zusammen. Die benötigte Summe blieb unerreichbar. So entschieden sie
sich für diesen nicht ganz legalen Weg und betrachteten ihn als eine Art Vorkasse
für den künftigen Ruhm, den sie selbstverständlich erreichen würden.
     
    »Wir nehmen ein Taxi rüber nach
Lahaima und suchen ein Zimmer für die Nacht«, schlägt Kilian kleinlaut vor, »morgen
sehen wir dann weiter.«
    Im Moment
sieht er nicht wie ein Jack London aus, eher ratlos wie ein verirrter Eiderstedter.
Doch die kurze Verunsicherung wegen einer Bleibe hält nicht lange an.

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