Don't worry, be German. Ein Ami wird deutsch
Nur aus Spaß sagte ich plötzlich zu ihr: »Kannst du dir vorstellen, dass ich früher ausgesehen habe wie Brad Pitt?« Diese Frau schaute mich total ernst an und antwortete, sie hätte dafür nicht genug Vorstellungskraft.
Wow! Wieder etwas für mein angeknackstes Ego! Eine Amerikanerin würde so was nie antworten. Eine Amerikanerin würde im schlimmsten Fall vielleicht sagen: »Yes! Yes, of course I can imagine that you used to look like Brad Pitt ... if I have enough to drink!« Okay, nett wäre so eine Aussage auch nicht, aber wenigstens einfallsreich.
Auch beim Thema Gewicht ist man in Deutschland sehr direkt. Einmal fragte ich eine deutsche Rentnerin, während eines Auftrittes, ob sie mich dick fände. Daraufhin musterte sie mich erst von oben bis unten, bis sie mir nach einer halben Ewigkeit antwortete: »Für einen Amerikaner nicht.«
Ich war völlig verwirrt. »Für einen Amerikaner nicht?« Was war das denn für eine Antwort? Ist das ein Kompliment oder kein Kompliment oder irgendwas dazwischen?
Das Einzige, was die ganze Situation in diesem Moment entspannte, war die Tatsache, dass das gesamte Publikum sofort lauthals loslachte. Ich lachte tapfer mit, auch wenn ich es eher verstanden hätte, wenn sie »im Vergleich zu den Wildecker Herzbuben nicht« geantwortet hätte.
Aber mittlerweile bin ich schon selbst ein bisschen so geworden wie diese Dame. Das bleibt einem Ausländer wahrscheinlich auch nicht erspart. Das färbt einfach ab.
Ich bin mit meiner deutschen Frau seit 15 Jahren verheiratet, und wenn sie mich früher fragte: »Findest du mich dick?«, antwortete ich immer mit meiner amerikanischen Art: »Nein, nein, überhaupt nicht.« Aber neulich fragte sie mich wieder: »Findest du mich dick?«, worauf ich sie zurückfragte: »Im Vergleich zu was?«
Sofort merkte ich anhand ihres Gesichtsausdrucks, dass ich was Falsches gesagt hatte. Dann antwortete sie mir: »Na, ja, im Vergleich zu den Models im Fernsehen ...«
Worauf ich erneut fragte: »Hast du denn keinen anderen Vergleich?«
Aber verstehen Sie mich nicht falsch, liebe Leser. Diese Art der deutschen Direktheit geht nicht nur in die negative, sondern auch sehr oft in die positive Richtung. In Richtung netter Komplimente nämlich. Ich war zum Beispiel einmal auf einer Party und hörte, wie ein Mann zu einer Frau
sagte: »Mensch, Gisela, du siehst heute Abend richtig gut aus!« Worauf sie entgegnete: »Danke, Gerd. Du siehst auch nicht so übel aus.« Ich konnte das nur bestätigen: »Ja, das stimmt, Sie sehen beide ziemlich gut aus.«
Und genau das finde ich so toll an Deutschland: Wenn man hier jemandem ein Kompliment macht, kann man tatsächlich davon ausgehen, dass man es so meint. Denn sonst hätte man das Kompliment überhaupt nicht gemacht.
In Amerika ist das leider ganz anders. In Amerika machen wir oft Komplimente nur aus Höflichkeit. Nur damit der andere sich gut fühlt. Dann sagen wir Dinge wie: »Hi, Helen! You look great! Did you lose weight?« Und dabei meinen wir oft überhaupt nicht, dass Helen »great« aussieht. Oft finden wir, dass sie sogar dicker geworden ist, aber trotzdem sagen wir, wie toll sie aussieht, nur damit sie sich besser fühlt. Und deswegen muss ich an dieser Stelle auch einen weit verbreiteten Irrtum aus dem Weg räumen. Viele Leute behaupten, dass Amerikaner viel mehr Komplimente verteilen als Deutsche. Aber das stimmt überhaupt nicht, denn wenn Amerikaner zehn Komplimente vergeben, dann sind im Durchschnitt nur drei davon ehrlich gemeint. Die anderen sieben sind reine Floskeln. Aber wenn ein Deutscher, sagen wir, vier Komplimente verteilt, dann meint er es auch vier Mal so. Was letztendlich bedeutet, er macht sogar ein Kompliment mehr als der Amerikaner.
Nichtsdestotrotz lernt man in den USA schon früh als Kind, Komplimente zu verteilen. So auch meine Geschwister und ich, als wir noch ganz klein waren. Wenn wir am Wochenende zum Beispiel einen Ausflug mit unseren Eltern machten und wir vor dem Start mit unserem Vater zusammen im Auto auf unsere Mutter warteten, die noch was im Haus holte, sagte mein Vater oft: »Tell your mother
that she looks nice today, when she gets in the car.« Und wenn sie dann endlich einstieg, taten wir das auch ganz artig. »Mom, you look really nice today!«, worauf sie immer antwortete: »Thanks, guys! That was a really nice thing to say!«
Und während meine Mutter ihre Handtasche auf dem Boden verstaute, zwinkerte unser Vater uns dann immer im Rückspiegel zu. Das
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