DoppelherzTOD
waren bei der Kriminalpolizei, Herr Hosfeld, waren!« Vor dem Zimmer 308 stand eine stattliche Krankenschwester und ließ niemanden hinein. »Sie wissen doch selbst, dass am Tatort nichts verändert werden darf.«
Bruno Ehrlicher mischte sich ins Gespräch. »Sie sprechen vom Tatort. Natürlich war dieser Tod also nicht?« Wenn solch ein Koloss den Eintritt versperrte, schienen die Leichen im Zimmer zumindest gewisse Zweifel aufzuwerfen.
»Was heißt natürlicher Tod?« Der Koloss versuchte ein Lächeln. Es misslang. »Doktor Burger hat die Polizei verständigen lassen. Fragen stellen sich manchmal. Das ist kein Grund zur Panik oder für Gerüchte. Passiert öfter. Bitte, die Herren, gehen Sie auf Ihr Zimmer zurück. Es gibt nichts zu sehen.« Mittlerweile hatte sich der Flur gefüllt. Aus allen Türen schauten die Alten, schlurften in Bademänteln und Hauslatschen den Gang entlang. Ein Rollstuhl summte. Wenige tuschelten. Unter Schwerhörigen gab es keine leisen Gespräche.
»Vielleicht machen zwei alte Hasen wie der Bruno und ich die Polizei unnötig?« Aber Hosfeld ließ seinen Charme vergeblich spielen.
»Herr Major! Sie hätten sich Unbefugte bei Ihren Ermittlungen aber strengstens verbeten!«
Ein Mann im weißen Kittel eilte auf sie zu, hinter ihm eine stark geschminkte junge Frau mit einem streng gebundenen Haarknoten.
»Die Leiterin des Hauses, Belinda Neumann-Sinsmann«, flüsterte Hosfeld. Die Schaulustigen traten zur Seite. Eine Gasse wie im Film entstand. Die kräftige Schwester gewährte den Offiziellen den Eintritt ins Zimmer mit den zwei Toten. Die Frau Chefin und der Herr Doktor verschwanden. Ehrlicher konnte einen kurzen Blick ins Innere erhaschen. Ein Zimmer wie das von Hosfeld. Ein Bücherschrank, davor der Esstisch. Der Kopf einer Frau war vornüber auf die Platte gefallen. Ein Glas war umgekippt. Eine Vase mit Tulpen konnte Ehrlicher noch erkennen, dann schloss der Wachhund die Tür und ließ sich jetzt erst recht nicht überzeugen. »Herr Hosfeld, ich bitte Sie!« Die pensionierten Kriminalisten blieben außen vor.
»Also, Selbstmord schließe ich aus.« Hosfeld wandte sich zu Ehrlicher. Aber alle Schaulustigen auf dem Gang stimmten ihm zu. Ihr Gespräch war mitgehört worden. Frau Emmerich oder eine andere der Damen hatte sicher die Mitbewohner über Ehrlichers Beruf informiert. Hosfeld ignorierte das öffentliche Interesse an seinen Worten. »Die beiden hatten doch ihr Glück gerade erst gefunden. Keiner denkt da an den Tod.«
Ehrlicher wollte nicht widersprechen. Jedoch schlossen Liebe und Tod einander nicht aus. Romeo und Julia auf dem Dorfe vor den Stadttoren Leipzigs war wirklich passiert. Und in seiner Karriere hatte Ehrlicher nicht nur einmal auf ein totes Liebespaar blicken müssen.
Auch die Heimbewohner machten sich Gedanken. Ehrlicher hörte die Gesprächsfetzen: Hans-Jürgen und Margot wollten doch noch am Wochenende zu den Kindern. Und Bier hat der Hans-Jürgen bis zum Monatsende bestellt. Da bringt man sich doch nicht um. Die Margot war mit ihrer Osterstickerei noch gar nicht fertig. Habe ich im Nähzirkel gesehen, sie wollte noch Silbergarn kaufen. Die Enkelkinder würden sich freuen. Und überhaupt, Selbstmord, wer tut denn so was, wenn einem das Leben noch einmal solch Glück schenkt? Vielleicht Krebs? Vielleicht hatte man sich einfach getäuscht? Vielleicht ging es Margot Wendel und Hans-Jürgen Porstmann gar nicht so gut, wie man dachte? Wer steckt schon drin in den Menschen?
»Herr Hosfeld, Sie könnten doch…«
Herr Hosfeld konnte nicht und schob Ehrlicher durch die Menge. Man trat beiseite und flüsterte weitere Fragen und Meinungen. Wieder hatte es jemanden erwischt, und man selbst lebte noch immer. Wann war es für einen so weit? »Tut mir leid. Aber zu denken gibt er mir schon, der Tod dieser beiden.« Hosfeld schwitzte, wischte sich mit dem Taschentuch über die Stirn und schien ehrlich geschockt.
»Warte doch erst einmal ab, es wird sich klären.« Sie liefen den Flur lang, zu Hosfelds Zimmer zurück. An den Wänden hingen überall bunte Drucke, kräftige Farben. Und noch immer kamen ihnen Menschen entgegen, die über diesen unerwarteten Tod Näheres erfahren wollten. Hosfeld und Ehrlicher wichen den fragenden Blicken aus.
»Ich brauch erst mal einen Schnaps. Du auch?« Ehrlicher nickte nicht, nahm aber das Gläschen Stonsdorfer gern an.
»Kanntest du die Toten näher?«, fragte Ehrlicher, um ein Gespräch zu beginnen, nicht aus wirklichem Interesse.
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