DoppelherzTOD
»Ich habe dir ein delikates Mittagessen versprochen. Du sollst es haben. Die beobachten jetzt sowieso alle den Abtransport der Leichen, da ist der Saal leer.« Das Angebot abzulehnen, getraute sich Ehrlicher nicht.
Der Speiseraum war in einem Saal mit vielen Fenstern im Erdgeschoss untergebracht. Die Stuckdecke hielt einen Kronleuchter. Pflanzen standen in Kübeln. Eine greise Frau starrte aus dem Fenster. Drei Tische waren einzeln besetzt. Eine Pflegerin löffelte Brei in einen zahnlosen Mund. Ob Mann oder Frau war nicht erkennbar. An der Essensausgabe stand kein Personal. Hosfeld brüllte ins Leere.
»Zweimal Bratwurst mit Kraut!« Delikat wollte Ehrlicher das Gericht nicht nennen, eher gewöhnlich. Eine korpulente Frau in blauer Schürze wogte zur Ausgabe und lächelte freundlich. »Aber Gäste müssen bezahlen!«
»Ja klar, Frau Michaelis. Ich weiß das.« Dann knallte Frau Michaelis das Bestellte auf geformte Teller wie ehedem in der Polizeikantine. »Was gibt es zu trinken?«
Ein fast leerer Saal, Tische mit Sprelacart, ungeputzte Fenster. Ehrlicher fand die Situation unangenehm und bizarr, fühlte sich in die Zeit vor dreißig Jahren versetzt.
»Tee oder Selters.« Hosfeld wies auf Thermoskannen und einen Wasserspender. Der Tee roch nach undefinierbaren Kräutern. Hosfeld zahlte, obwohl Ehrlicher es verhindern wollte. »Eingeladen ist eingeladen.« Dann griff Hosfeld zum Süßstoff und trug sein Tablett zu einem Tisch am Fenster. Ehrlicher trug sein Gastessen ihm hinterher und zapfte danach erst einen Tee aus dem Kanister.
»Guten Appetit.«
»Danke, dir auch.«
Die Kriminalisten a. D. ließen es sich schmecken.
Hosfeld dozierte weiter, bewegte seine Gabel auf und nieder, Kraut hing an den Zinken. »Der Hans-Jürgen und die Margot saßen immer da hinten im Eck. Ich sehe sie noch wie gestern.« Hosfeld sprach mit vollem Mund. Kraut fiel ihm von der Gabel.
»Ja.« Was wollte Ehrlicher sagen? Immer wieder hatte er Hinterbliebenen Todesnachrichten überbringen müssen. Menschen reagierten ganz unterschiedlich. Eine Ehefrau hatte ihn geschlagen. Ein Bauarbeiter war einfach davongerannt.
Frieder Hosfeld aß und sprach vom Tod. »Da stimmt etwas nicht.«
»Was willst du denn noch? Die Polizei ist im Hause.« Ehrlicher war genervt. Und wirklich schienen immer mehr Menschen in der Seniorenresidenz geschäftig hin- und herzueilen.
Ehrlicher aß, hörte kaum zu und hatte sein Mahl vor dem Kollegen beendet, wartete, dass Hosfeld fertig wurde. Der jedoch nahm sich Zeit, holte sich noch einen zweiten Pott Kräutertee.
»Was sagste denn nun?«
»Ich kenne doch den Hans-Jürgen und die Margot gar nicht.«
»Nein. Was meinst du zu unserem gemeinsamen Buch?« Auch dieses Essen bestätigte, mit dem alten Major würde es kein schnelles und erfolgreiches Arbeiten geben. Auch nicht bei dem Projekt mit Leipzigs wahren Verbrechen. Aber Frederike und Kain, selbst Walters Frau, alle hatten begeistert Beifall geklatscht. Es sollte nicht sein. Jetzt saß er hier bei Ärbernmauke und Gesundheitstee und einem sichtlich geschockten, aber hungrigen Hosfeld. Der fasste endlich seine Serviette und wischte sich über Mund, Wangen und Hände.
»Sehr lecker.« Und zur Frau hinter der Ausgabe brüllte er: »Danke, Frau Michaelis, sagen Sie danke zu all Ihren Köchen!« Frau Michaelis lächelte und kontrollierte ihre Töpfe. Eine Frau bat um Spaghetti ohne Käse.
»Ich werde dann mal.«
»Ich begleite dich noch zur Tür.« Und die alten Kollegen machten sich auf den Weg. Im Foyer saß niemand mehr. Louise Emmerich und ihre Freundinnen standen sicher noch immer vorm Zimmer der Toten.
Als die Kriminalisten auf die Terrasse traten, wurden sie Zeugen der Ankunft des Stars. Ein silbergrauer Dienstwagen rollte heran und ihm entstieg Frau Hauptkommissar Agnes R. Schabowski? Oder Michalski? Oder Lauraski? Ein Uniformierter berichtete über die eingeleiteten Maßnahmen. Ein anderer trug eine schwere Kiste ins Haus. Die Kommissarin knallte die Tür, nickte dem Uniformierten ein Danke zu und kam ihnen direkt entgegen. Ehrlicher hatte seine Nachfolgerin schon im Präsidium gesehen. Agnes R. war Mitglied der zweiten Leipziger Mordkommission gewesen. Dass ausgerechnet dieses Karriereweib ihn aus seinem Sessel warf, schmerzte. Sie schritt wie Greta Garbo zum Oscar. Und genauso hatte er sie in Erinnerung. Eine Frau, keine vierzig. Trotzdem sah ihr Gesicht nicht gesund aus. Die Kleidung tipptopp. Die Schuhe zu hoch und zu spitz, wie wollte die
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