DoppelherzTOD
anderen Arm, »Lesen Sie vor? Wissen Sie, meine Augen.«
Frieder Hosfeld schaffte endlich Distanz. Die Weiber ließen Ehrlicher los, musterten ihn aber noch immer intensiv. »Ein Kollege. Wir müssen etwas besprechen«, versuchte Frieder Hosfeld die Szene zu beenden. Erfolglos.
»Nein! Sie sind auch Kriminalkommissar?«, fragten die Frauen im Chor. »Berichten Sie uns über Ihre Arbeit! Bitte! Die Vorträge von Herrn Hosfeld waren immer sehr interessant.«
»Ich kann von Krimis nie genug kriegen. Ich lese sie alle. Von der Christie bis Haffner.« Noch vor einer Minute sollte Ehrlicher der Dame vorlesen. So schlimm konnte es mit deren Augen dann wohl doch nicht sein. Oder war es eine der anderen, die ihn zum Vorlesen in ihr Zimmer gebeten hatte?
»Komm!« Hosfeld schob seinen Kollegen durch eine pendelnde Türe. »Zwei Treppen hoch, Gang nach links, da ist mein Zimmer.«
Hosfelds Zimmer war eine Einraumwohnung mit Küchenzeile, Bad und einer großen Fensterfront, davor ein Balkon. Blick auf den Park gegenüber. Schrankwand, Bett, Fernseher. In einem Käfig lief ein Hamster im Rad. »Das ist der Pippo. Von meinem Enkel, damit ich nicht so allein bin. Die wohnen ja jetzt nahe Stuttgart. Meine zweite Tochter in Essen hat noch keine Kinder.« Hosfeld nötigte Ehrlicher in den einzigen Sessel. »Kaffee?« Ehrlicher nickte. »Habe ich noch in der Kanne.«
Dann schenkte Hosfeld ein, setzte sich seinem Kollegen vis-à-vis und griff nach mehreren Mappen mit Fotos und Zeitungsartikeln. Die lagen bereits auf der Chaiselongue. »Dreißig Jahre Berufsleben.« Er legte alles vor sich hin auf den Tisch. Im Raum klapperte nur das rotierende Hamsterrad.
Ehrlicher nickte anerkennend. »Du willst es wirklich schreiben? Das Buch?.«
»Ja klar, Mann.« Hosfeld redete sich sofort wieder in seine Begeisterung hinein. Er hatte recherchiert und Pläne gemacht. »Warum denn nicht? Wir haben doch was zu erzählen! Zu unseren Zeiten gab’s kein Kripo live, nicht Autopsie und Akte Mord. Heute schätzt man unsere Arbeit viel mehr. Früher blieben wir im Verborgenen.«
»Ich möchte nicht zu den Sensationsautoren gehören, die ihre Nase in jede Talkshow hängen.« Noch immer glaubte Ehrlicher nicht, dass ihn Hosfeld von dem Projekt überzeugen konnte. Aber warum saß er sonst bei ihm im Zimmer? Pippo verschwand gerade in seiner Bude.
»Hier, kannste dich erinnern, unsere ersten Fälle?« Hosfeld schob ihm eine der Mappen in die Hand. Beim Blättern sah Ehrlicher alles wieder vor sich. Den toten Taxifahrer. Den erschossenen Sowjetsoldaten. Die Frau, die aus dem zwölften. Stockwerk gesprungen war. Wollte er diese Schicksale wirklich öffentlich machen?
»Wir können doch nicht so einfach diese Tragödien erzählen!«
»Was können wir nicht? Mord verjährt, es gelten Fristen. Und mit ein paar Namensänderungen ist das kein Problem. Ich habe mich informiert.« Hosfeld schob ihm eine Visitenkarte in die Hand. Dr. Armin Schucht, las Ehrlicher, Literaturagent. Hosfeld war bereits wieder bei seinem Plan. »Also, Bruno, ich habe mir das so gedacht. Hier ist eine erste Aufstellung der Fälle. Ich denke, wir gehen chronologisch vor. Mein erster Fall in Leipzig war ‘61.«
Hosfeld reichte ihm einen Zeitungsschnipsel.
Tot aufgefunden. Der seit dem 3. Juni in Leipzig-Wiederitzsch vermißte achtjährige Rüdiger Hölzig ist tot aufgefunden worden. Die Untersuchungen der Volkspolizei ergaben, daß ein Verbrechen vorliegt. Eine im Tatverdacht stehende Person befindet sich in Untersuchungshaft. Die Bevölkerung wird gebeten, alle Hinweise, die zur restlosen Aufklärung des Verbrechens von Bedeutung sein könnten, an die nächste VP-Dienststelle zu melden.
»Der Täter wurde nie gefasst. Das hängt einem ein Leben lang nach.«
»Hast du die Akten daheim archiviert?«
»Manche schon. Als man mich rausgeschmissen hat, da hat keiner danach gefragt. Und in den Reißwolf gehören solche Schicksale nicht.«
Wahrscheinlich war Hosfelds Privatarchiv gesetzeswidrig, mutmaßte Ehrlicher, aber er fragte nicht nach und blätterte weiter. Er war wieder auf Arbeit. Er ermittelte. Er sah sich Zeugen befragen. Den Lehrer, der mit seinem Schüler schlief. Die Anwältin im Karrieretief. Er sah die Toten. Es war vorbei. Er war kein Kriminalkommissar mehr. Wollte er mit solch einem Projekt den alten Zeiten nachtrauern? Doch er ließ sich mehr und mehr von Hosfeld überzeugen. Pippo lief schon wieder im Rad.
»Vieles bekommt man auch in den Archiven. Alte Zeitungen
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