DoppelherzTOD
sich die Mäuler. Ehrlicher nahm ihre Einladung an. Brigitta Johannsen hatte nur lächelnd gehaucht: In fünf Minuten bin ich fertig. Und war verschwunden. Dann kam sie wieder.
Schwarzer Rock, schwarze Bluse. Ihr grauer Mantel schwang ihr um die Hüften. Und sie trug einen Hut, der ihre Augen im Dunkel beließ, aber ihr blond gefärbtes Haar zeigte. Ehrlicher war von ihr fasziniert. So richtig gestand er sich das aber nicht ein.
Auch jetzt konnte er seinen Blick kaum von Brigitta wenden. Allein, wie elegant ihre Hände mit der langen Perlenkette spielten, die ihr zweilagig den Hals schmückte. Die Ohrringe passend, der Ausschnitt ließ vieles erahnen. Ehrlicher erinnerte sich nicht, wann er einer Dame gegenübergesessen hatte, die Unsicherheit in ihm auslöste. Nur schwer konnte er sich an Brigittas letzte Frage erinnern.
»… ich kenne Frieder von ganz früher aus dem Polizeidienst, von der gemeinsamen Ausbildung.«
»Und jetzt schreiben Sie zusammen ein Buch?«
Ehrlicher nickte. »Na ja, wir wollen’s versuchen. Schriftsteller sind wir ja beide nicht.«
»Noch nicht, Herr Ehrlicher, noch nicht.«
Eine Kellnerin fragte nach ihren Wünschen.
»Nehmen wir einen Prosecco?«, fragte ihn Brigitta mit einer Stimme, die klang genauso wie die der Schauspielerinnen hinterm Tresen der Western-Bars. Und Ehrlicher blieb keine Wahl. Ja, wir nehmen einen Prosecco. Das sagte er nicht, sondern nickte nur. Wenn Ehrlicher nicht aufpasste, verlor er noch völlig den Kopf. Wie ein Pennäler beim Rendezvous mit einem drei Jahre älteren Mädchen. Brigitta schätzte er drei, vier Jahre jünger als sich. Doch er konnte sich täuschen, Brigitta Johannsen kannte sämtliche Mittel, die eine Frau attraktiver machten. Er konnte sich nach dem Prosecco einiges mit ihr vorstellen… Eigentlich fühlte Ehrlicher sich mit Frederike liiert, gab auf diesbezügliche Fragen auch an: in Partnerschaft, aber getrennt lebend. Und jetzt brachte ihn diese Frau da im Korbstuhl gegenüber auf ganz andere Gedanken und verursachte bei ihm nicht mal schlechtes Gewissen, sondern ein Kribbeln im Magen. Nehmen wie einen Prosecco? »Auch zwei, wenn Sie es wollen, gnädige Frau.«
»Was sich heute so Schriftsteller nennt und veröffentlicht wird… Von mir hören Sie dazu keinen Kommentar. Ich lese noch immer gern die vergessenen Autoren. Seghers. Neutsch. Irmtraud Morgner. Manche tun gerade so, als hätte es die nie gegeben.«
Ehrlicher nickte schon wieder, gelesen hätte er diese Autoren nur, wenn sie Schulstoff gewesen wären. Anna Seghers. Er erinnerte sich vage an sozialistische und andere Literatur. Seit seinem Studium hatte Ehrlicher kaum noch zu Büchern gegriffen. Zu viel Arbeit, zu wenig Zeit mit der Familie. Und später musste er Brillen bei der Lektüre tragen. Jetzt löste er Kreuzworträtsel.
»Christa Wolf hat ja auch mal von einem Selbstmord geschrieben, war dazumalen ein Skandal, dieses Nachdenken über Christa T.«
Wahrscheinlich sollten diese Sätze zum Thema lenken, dass wohl auch Brigitta auf der Seele lag: Hans-Jürgen Porstmann. Sie spielte nicht mehr mit ihrer Perlenkette. Ihr Blick unterm Hut schweifte in die Ferne. Die Kellnerin brachte die Gläser. Sie stießen an und sahen sich in die Augen. Ehrlicher hätte sich beinahe an der Kohlensäure des Getränks verschluckt. Beim Abstellen des Glases schwepperte er und fuhr mit dem Finger über die Tropfen.
»Sie saßen ganz friedlich beim Frühstück. Ihr Kaffee war noch warm.«
»Sie haben das Zimmer betreten?«
»Ich habe die beiden gefunden. Wir haben ja öfter mal was zusammen unternommen oder ich mit Hans-Jürgen alleine. Als niemand öffnete, habe ich selbst aufgeschlossen.«
»Sie haben einen Schlüssel?« Ehrlicher setzte sein Glas ab.
Brigitta lächelte und beugte sich näher zu ihm über den Tisch. »Haben Sie keinen bei Ihrer Nachbarin deponiert? Es kann doch immer mal was passieren. Rohrbruch. Offene Fenster. Von den Krankheiten des Alters möchte ich gar nicht reden.« Nein, Ehrlicher hatte nirgendwo einen Schlüssel. Gut, bei Frederike war einer, falls er seinen wirklich mal verlegte. Die Bewohner in seiner Straße kannte er, aber zu engen Freundschaften war es niemals gekommen. Wenn er verreiste, goss Frederike Blumen. Die Nachbarn interessierten ihn nicht. Früher, in Dresden, hatte seine Frau die Kontakte gepflegt. Er hielt sich raus, musste bis vor kurzem von Berufs wegen täglich im privaten Elend wühlen, brauchte nicht noch am Gartenzaun darüber zu reden.
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