DoppelherzTOD
Enkelin, ich brauche meine Tochter. Ohne sie bin ich so etwas wie tot. Dijamal muss mir Annetta zurückgeben! Er muss!«
»Ich kann ihre Wut verstehen. Aber ich kann ihnen nicht helfen.«
»Es tut gut, wenn einer mal zuhört. Ich habe ja sonst niemanden.«
»Keine Freunde? Geschwister? Familie?«
»Nein.« Rebecca Loepki fummelte am Gepäckträger ihres Rades. Ein Körbchen war darauf gespannt, in ihm lag ein Bund gelber Blumen. »Die wollte ich Ihnen schenken.«
»Warum?« War das eine Entschuldigung, weil sie ihm die Zeit stahl? Hatte sie seine Gedanken erraten? Sollte er diesen Strauß nehmen und Eva überreichen? Rebecca Loepki schob ihr Rad weiter. Gedrungen wirkte sie. Ihr Mantel reichte bis über die Knie. Die Stiefel entsprachen keiner Mode. Am Absatz zeigten sich Risse. Waren die Narzissen geklaut?
»Ich schenk sie Ihnen, weil mir einfach danach ist. Sie haben’s doch auch nicht einfach. Ich seh doch, wie Ihre Chefin jeden Ihrer Schritte überwacht. Ein nettes Wort haben Sie auch mal verdient.«
Die Loepki schaute ihn von unten her schelmisch an. Kain trat der Schweiß auf die Stirn. Uneigennützig verschenkte Rebecca Loepki nichts, oder? War diese Frau wirklich in ihn verliebt und wollte ihm heute ihre Gefühle offenbaren? Fast schien es so, als hätte sie ihn abgepasst. Stand er unter Beobachtung? Es war offensichtlich, Rebecca Loepki wollte mehr von ihm, als er zu geben bereit war. Wir haben Spuren, die sich einfach nicht mit ihrer Aussage decken.
»Haben Sie Ihren Mann einmal zur Rede gestellt?«
»Immer wieder. Er bestreitet alles. Auch vor der Polizei.«
»Sie glauben ihm nicht?«
»Nein. Ich hätte ihm nie glauben sollen. Vorgespielt hat er mir die große Liebe. Erst hat er mich nicht mehr aus den Augen gelassen, dieser schlanke Typ mit dem pechschwarzen Haar. Dann hat er mir einen Drink ausgegeben. Es hat mir geschmeichelt, bei solch einem schönen Mann Eindruck zu hinterlassen. Wir hatten gerade erst einmal miteinander getanzt.« Kain nickte, er musste das Gespräch auf neutrale Themen lenken, zumindest auf solche, die ihn selbst nicht betrafen. »Ich hatte wirklich geglaubt, Dijamal meinte es ernst.«
»Und dann hat er es nicht?«
»Ach, ich war ihm gut genug, den Haushalt zu führen. Seine Freizeit hat er nicht mit mir verbracht.« Und Rebecca Loepki erzählte. Sie musste es oft genug erzählt haben, es klang wie auswendig gelernt. Die Freunde, sein Glaube, und so wie er aussieht, alles Lüge. Tränen standen ihr in den Augen. Sie wechselte das Rad in die linke Hand und schob nun auf Kains anderer Seite.
»Wie war das, an dem Tag, als Annetta verschwand?« Du kannst doch die Dame einfach mal so nebenbei fragen.
»Dijamal hatte die Kleine an diesem Wochenende. Am Sonntag Nachmittag wollte er sie mir bei Ihnen im Waschsalon übergeben. Wir haben das schon mehrmals getan. Es ist dort gemütlich.«
Und wieder ein Blick, der Kain ein schlechtes Gewissen verursachte. Er wollte von dieser Frau nichts und hatte die Befürchtung, dass er ihr gerade Hoffnungen machte. »Und Dijamal ist nicht gekommen?«
»Nein. Er ist nicht gekommen, und Annetta habe ich nie wieder gesehen.«
Auf dem Marktplatz verkauften Händler Obst, Gemüse und Speisekartoffeln. Blumen standen in Töpfen. Gewürze lagen in der Auslage. Die Kundschaft prüfte und kaufte.
»Da sind Sie zur Polizei gegangen.«
»Nicht gleich. Ich dachte, vielleicht ist Dijamal was dazwischengekommen. Kann ja mal sein, ich bin auch nicht immer pünktlich gewesen. Daheim hat meine Mama mir Vorwürfe gemacht. Genau das hätte sie sich schon immer gedacht. Mit so einem Mann! Ich hätte die Finger von dem Typen lassen sollen. Hinterher ist man immer schlauer.«
»Und Ihre Mutter hat Sie zu einer Anzeige überredet.«
»Zwei Tage später bin ich zur Polizei gegangen. Die Nachbarn fragten schon, wo Annetta denn bleibt. Urlaub mit dem Vater habe ich gesagt, obwohl das nicht gestimmt hat.« Ja. Ihre Geschichte klingt plausibel. Kain konnte Walters Zweifel verstehen. Alle Antworten waren logisch, aber sie kamen zu schnell. Sie klangen fast so, wie er Frederikes Speisekarte aufsagte. Da stimmt etwas nicht. Kain wollte nicht an Rebeccas Wahrheit zweifeln.
Sie näherten sich dem Waschsalon. Rebecca Loepki sicherte ihr Rad an einer Straßenlampe. Kain trug die Blumen. Isabell und drei Gäste saßen im Rund. Isabell lächelte nicht, als sie Kain und Rebecca eintreten sah, sie blickte nur kurz von ihrem Lehrbuch zur Uhr und zuckte die Schultern,
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