DoppelherzTOD
dann las sie weiter. Kain war eine Dreiviertelstunde zu früh auf Arbeit erschienen, stellte die Narzissen ins Wasser und band sich die Kellnerschürze um die Hüften. Rebecca Loepki hatte ihren Mantel auf einen freien Stuhl gelegt und an ihrem Tisch Platz genommen.
»Das Übliche?«, fragte er. Sie nickte. Kain brachte ihr den Milchkaffee ohne Rechnung.
»Auf Kosten des Hauses.«
»Das habe ich nicht verdient.«
Kain stutzte. Auf allen Tischen standen frische Narzissen. Die Vase auf Rebeccas Tisch war leer.
Kain setzte sich zu Isabell an den Tisch fürs Personal und griff nach einem kostenlosen Führer durchs Nightlife der Stadt.
»Hat sie dir die Ohren vollgeheult?«
»Möchtest du deine Tochter verlieren?«
»Sie himmelt dich jedenfalls an. Vielleicht kannst du sie trösten.«
Kain ließ sich nicht auf diese Gesprächsebene ein und las im Veranstaltungsplan. Im Variete gab es am Mittwoch Karten für Verliebte. Vielleicht wäre das eine Überraschung für Eva. Im Haus Auensee spielte Keimzeit. Das Theater zeigte…
Im Waschsalon knallte die Tür, und es fielen Stühle um. Ehrlicher stürzte auf ihn zu.
»Ist Walter bei dir?«
»Ich habe ihn nicht gesehen, oder er ist auf Toilette.«
»Im Labor ist er auch nicht.«
»Was ist denn? Bist du über einen Mörder gestolpert?«
»Ja.«
»Bitte?«
»Die Neue hat mich schon verhört. Unangenehme Frau.«
»Wenn du das sagst, Bruno.«
»Frieder hatte recht mit seiner Theorie. Der Hans-Jürgen und die Margot sind ermordet worden. Jetzt hat es ihn selbst getroffen.«
»Du sprichst von Mord?«
»Mord.«
»Bruno, übertreib bitte nicht. Mord ist in Leipzig selten.«
»Er wurde umgebracht. Eiskalt umgebracht.«
»Frieder Hosfeld ist tot?«
»Und am Tatort nur Dilettanten. Von Urlaub hat doch der Walter gar nichts gesagt.«
»Nee, hat er nicht.«
»Der Hosfeld hat ganz komisch die Augen verdreht und ist einfach in sich zusammengerutscht. Selbstmord war das jedenfalls nicht.«
»Wirklich?«
Ehrlicher sprach einfach weiter. »Brigitta hat sich vielleicht wirklich getäuscht.«
Kain glaubte nicht, was Ehrlicher ihm erzählte. »Brigitta, seit wann nennst du Frauen beim Vornamen, die ich gar nicht kenne?«
»Deine Ironie kannste dir sparen.«
»Aber Mord, Bruno…«
»Mit dir rede ich gar nicht. Mach mir ein Bier!«
Isabell las. Kain tat seinen Job. Und Rebecca Loepki sah hinaus auf die Straße.
9.
Bruno Ehrlicher träumte nicht. Es klingelte. Er hatte sich den Wecker seit Monaten nicht mehr gestellt, verlangte doch kein Dienstplan seine Anwesenheit früh am Morgen. 6 Uhr 36, sagte ihm der Blick auf die Anzeige.
Die Katastrophe war eingetreten! Seine ersten Gedanken galten Tommi. Natürlich würde Tommi bei Schwierigkeiten zuerst seinen Vater informieren. Schlimmer, es war Polizei oder Feuerwehr, die ihn benachrichtigen mussten. Er hatte oft selbst solch einen schweren Gang zu Müttern und Vätern, Gatten und Kindern gehen müssen. Jetzt traf es ihn selbst. Um Himmels willen! Frederike und der Waschsalon, eingebrochen, abgebrannt. Sie bedurfte seiner Hilfe, stand vor den Resten ihrer Existenz. Er trug Verantwortung ihr gegenüber. Freundschaft brachte auch Verpflichtungen dem Freunde gegenüber. Die ging man ein. Andere Namen fielen ihm ein: Kain. Staatsanwältin Mitterer. Gar die Neue auf seinem Posten. Wer läutete ihn so früh am Morgen aus seinem Bett? Im Wirrwarr seiner Befürchtungen und Theorien war Bruno Ehrlicher in Pantoffeln und Hausjacke geschlüpft und griff zum Telefon. Nur der Amtston war in der Leitung. Überhaupt war das Klingeln verstummt. War es also doch ein Alptraum gewesen.
Auf dem Weg zurück in sein Bett klingelte es wieder. Wer zerrte zu solch nachtschlafender Zeit an seinen Nerven? Auf Schlimmes gefasst, tappte der Kommissar zur Türe. Und noch einmal schrillte der Ton unangenehm durch die Wohnung. An Schlaf war sowieso nicht mehr zu denken. Ehrlicher sah aus dem Fenster und war auf alles gefasst.
»Bruno! Sie sind hinter mir her. Bitte mach auf, sonst haben Sie mich! Bruno!«
Mit Hosfeld allerdings hatte Ehrlicher zu dieser Stunde überhaupt nicht gerechnet. Er sah ihn im Haus Roseneck selig schlafen, alle Sorgen und Härten des gewöhnlichen Alltagslebens hatte man im Seniorenheim auf ein Mindestmaß reduziert. Früh 6 Uhr 40 läutete der Major a. D. nicht ohne Grund. Hosfelds Stimme war eine Oktave höher als sonst, klang nicht souverän, sondern panisch. Ehrlicher drückte den Öffner für die Gartentür,
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