DoppelherzTOD
meine Tochter begraben.«
Die Bilder an den Wänden reflektierten die Sonne. An einem der Waschautomaten brannte das Licht. Der Satz stand im Raum. Es war ein Moment der Wahrheit. Kain verstand erst spät die Tragweite der Worte. Ich habe meine Tochter begraben. Das war nicht gelogen. Rebecca Loepki zitterte. Tränen liefen ihr die Wangen hinab, tropften vom Kinn. Kain wusste nicht, was er sagen sollte.
»Um Gottes willen, was ist denn geschehen?«, sagte er dann doch.
Rebecca Loepki atmete tief ein, sie straffte ihren Körper. Sie hatte sich wieder unter Kontrolle. Wie auswendig gelernt klangen ihre Sätze. »Irgendwie muss man mit dem Vergangenen abschließen, so sehr es auch quält. Annetta kommt nicht mehr wieder. Ich habe all ihre Tiere und Teddys und Puppen entsorgt. Auf dem Friedhof. Ich halt es nicht aus, alles erinnert mich daran, dass meine Tochter nicht mehr bei mir ist.«
Sie weinte. Kain lief um den Tresen herum und nahm sie in den Arm. Die blonde Schrulle aus dem Fernsehen würde jetzt sagen: Alles wird gut. Nichts wurde gut. Das wusste Rebecca Loepki. Kain wusste es auch. Er spürte ihre Tränen an seinem Gesicht. Er strich ihr übers Haar. Sie lehnte ihren Kopf auf seine Schulter.
»Lieber ein Ende mit Schrecken als niemals ein Schlussstrich.«
Kain sagte nichts.
»Dijamals Familie wird alles für die Kleine tun. Da bin ich mir sicher. Vielleicht hat Annetta es dort sogar besser.«
Kain spürte Rebecca Loepkis Hand in seinem Nacken. Sie streichelte ihn. Und er vermochte es nicht, das Mädchen von sich zu weisen. Obwohl ihm diese Nähe widerstrebte. Weil Rebecca Loepkis Haar fettig glänzte. Weil er auf ihrem schwarz-rot gestreiften Pullover Flecken sah. Weil er Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit hatte. Diese Frau befand sich bereits Wochen in einer Ausnahmesituation. Ihr musste geholfen werden. Er brauchte kein Psychologe zu sein, um das zu bemerken. Er wusste auch, dass er ihr Vertrauen nicht einfach so abtun durfte.
»Die Ermittlungsorgane werden den Fall weiter verfolgen. Vielleicht können Sie Ihre Annetta bald wieder in die Arme schließen.«
»Das werde ich nicht. Niemals wieder werde ich meine Kleine sehen. Es ist vorbei. Auch wenn es sehr schwer fällt, ich habe mich damit abgefunden.« Die Worte klangen endgültig, sie waren ohne jegliche Hoffnung. Rebecca Loepki hatte den Schlussstrich gezogen.
»Wie können Sie sich denn da so sicher sein?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es. Eine Mutter hat das im Gefühl. Annetta kommt nicht mehr zu mir zurück.« Sie weinte still auf ihrem Hocker. Er stand daneben und konnte sich nicht fortbewegen. Sie hielt ihn fest.
»Möchten Sie etwas trinken?«
»Nein.«
Rebecca Loepki hatte ihr Kind verloren und diesen Verlust akzeptiert. Kain konnte sich Respekt nicht versagen. Aber waren denn alle Chancen vergeben? Dijamal Kaya hatte eine Schuld am Verschwinden Annettas vehement bestritten. Er sagte aus, er hätte an jenem Tage gar keinen Termin mit den beiden gehabt. Rebecca Loepki hatte hier im Café vergeblich auf Annetta gewartet. Jetzt hatte sie ihr Warten aufgegeben. Ich würde nicht alles glauben, was die erzählt. Kain hörte Walters Stimme, und er hasste sich dafür. Diese Frau brauchte Hilfe.
Aber viele ihrer Reaktionen schienen Kain einstudiert und vorbereitet. Sie sprach ohne Emotionen, sie suchte nicht nach den Worten. Sie klang wie aufgezogen. Und Rebecca Loepki sagte genau das, wovon sie sich die größtmögliche Wirkung erhoffte. Ließ er sich von einer Mörderin einwickeln? Ich habe bei Rebecca Loepki daheim Blutspuren gefunden. Er kannte Fälle von Kindstötung. Täglich berichteten Zeitungen in großen Lettern davon. Jetzt weinte Rebecca Loepki an seiner Schulter. Ich habe meine Tochter begraben. Kain schien dieser Satz nicht gelogen. Sie wollte sprechen, doch kurz vor der ganzen Wahrheit verließ sie der Mut. Mensch, Kain, wer einmal Kriminalist war, der bleibt es.
Kain hatte jetzt Zweifel an der Unschuld Rebecca Loepkis, und Walter hatte recht: Einmal Bulle, immer Bulle. Konnte er ihr Vertrauen weiter missbrauchen? Trug sie tatsächlich Schuld am Verschwinden Annettas? Kain war sich beinahe sicher. Walter hatte nie einen Zweifel gehegt. Ja, er, Hauptkommissar a. D. Kain, würde es der Hauptkommissarin Agnes R. Schabowski und der Staatsanwältin Mitterer beweisen. Rebecca Loepki hatte etwas zu verbergen. Keine Mutter gab so schnell ihr Kind verloren. Ich habe meine Tochter begraben. Mütter kämpften! Bis zur
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