DoppelherzTOD
dass Frederike ihm die Freundschaft endgültig gekündigt hatte, und schimpfte sich selbst ein Rindvieh und einen Idioten.
Der Himmel vorm Fenster war verhangen. Schneeflocken trieben vorbei. Der Sprecher im Radio redete von der Rückkehr des Winters. Blätter und Blüten waren wie mit einer Zuckerschicht überzogen. Frühling schien es niemals zu werden.
Das Wasser brauchte Stunden, bis es endlich kochte. Der Kaffee schmeckte abscheulich. Brot war keines im Haus. Butter. Frischkäse. Waldfrucht-Konfitüre. Ehrlicher aß Marmelade mit dem Löffel aus dem Glas.
Je länger er darüber nachdachte, desto plausibler klang ihm Kains Erklärung für die unnatürlichen Tode von Margot Wendel und Hans-Jürgen Porstmann. Kain hatte recht: Viele Liebende konnten ihren Partner nicht leiden sehen und wollten ihn vom Elend erlösen. Meta und Hans-Jürgen Porstmann hatten laut Hosfeld eine sehr gute Ehe geführt, sich innig geliebt. Meta stand der Tod vorm Auge. Sie hatte Angst, dass ihr Hans-Jürgen ohne sie keine Freude mehr finden würde, sie sah ihn am Leben verzweifeln. Immer war sie für ihn da gewesen, hatte ihn umsorgt. Bald würde sie das nicht mehr können. So ungefähr stellte Ehrlicher sich das vor.
Ehrlicher sah seinen ungedeckten Tisch und das sich stapelnde Geschirr im Abwasch. Meta hatte das Essen gekocht. Ehrlicher stand selten am Herd. Meta wusch die Wäsche. Den Kontakt zu den Freunden hatte sicher auch sie gepflegt, ganz wie seine Frau Lore. Er schickte ihr einen Kuss gen Himmel. In einem Film hatte er gesehen, dass Verstorbene im Jenseits nur wieder lebten, wenn die Hinterbliebenen ihrer gedachten. Der Gedanke barg Hoffnung, wenn er auch nicht unbedingt tröstlich war.
Meta Porstmann wollte den Gatten nicht allein im Leben lassen, vielleicht sah sie ihn verwahrlosen. Der Abwasch voll dreckigem Geschirr. Das Zimmer voll dreckiger Wäsche. Die Fenster ungeputzt. Nicht einmal Brot würde er kaufen, geschweige denn Kaffee, Kuchen oder Pralinen. Nein, so sollte Hans-Jürgen nicht leben. Meta mischte ihr Herzmedikament unter die Früchte und kochte es ein, dann stellte sie die tödliche Konfitüre zu den anderen ins Regal. Irgendwann würde Hans-Jürgen zugreifen, irgendwann würde die Marmelade seinen Kummer beenden. Vielleicht hatte Meta ihm sogar dieses letzte Brötchen selbst schmieren wollen. Ihr eigener Tod war ihr dazwischen gekommen. Erst Jahre danach kam die tödliche Marmelade aufs Brot. Sie traf nicht nur Hans-Jürgen, für den sie gedacht war, sondern auch Margot Wendel.
Ehrlicher suchte Indizien, die dieser Theorie widersprachen. Er fand keine. Der Wetterbericht des Radios sagte auch für die nächsten Tage düstere Aussichten an. »Tiefs treiben eine Kaltfront über Mitteleuropa. Nachts Minuswerte bis zu sieben Grad Celsius. Ein Tipp für Autofahrer: Wechseln Sie noch nicht zu Sommerreifen. Glättegefahr.«
Er besah sich seinen Kühlschrank. Lore hätte wahrscheinlich die Hände über den Kopf zusammengeschlagen. Er musste unbedingt einkaufen gehen, für Mittag und Abend waren keine Vorräte vorhanden. Ein stinkiger Käse und harte Wurst lagen im Fach, ungenießbar, weder Brot noch Butter. Er verschob seinen Einkauf auf später, nahm Kaffee und Zeitung und setzte sich auf die Couch. Der Stift war zwischen die Polster gerutscht. Begriff der chinesischen Philosophie? Drei Buchstaben. Kleiner, starker Kaffee? Den servierte Kain – Espresso. Ehrlicher musste die Kaffeesorte wechseln, dieses Gebräu schmeckte ekelhaft, aber es ließ ihn denken. Utensil zur Körperpflege? Beginnt mit N und hat zehn Buchstaben. Ehrlicher hatte gedacht, er bekäme Routine, hatte jedoch den Eindruck, dass sich diese Kreuzworträtsel immer mehr seinem Wissen entzogen. Unbeweglichkeit? Solcher Nonsens. Ein Vokal? Am Ende war es ein Umlaut, und die Lösung lautete: Ä, Ü, Ö – aber nichts passte. So geht’s: Schreiben Sie das Lösungswort auf eine Postkarte und senden Sie diese an… Er konnte das gesuchte Wort nicht erraten. – – BA – – E. Alle richtigen Einsendungen nehmen an der Verlosung teil. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Tolle Preise – Sie werden sich freuen! Was er gewinnen konnte, blieb das Geheimnis der Zeitung.
Im Fernsehen lief zum Vormittag Volksmusik. Ich hob die Oma so lieb, weil es dort mein Lieblingsessen gibt. Ja, was aß er denn zu Mittag? Ehrlicher konnte sich nicht vorstellen, dass Frederike ihm nach dem gestrigen Rauswurf heute lächelnd Chili con carne servierte. Er verließ bei
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