Doppelkinnbonus: Gesamtausgabe (German Edition)
Distance“ auf einem Handy etwas anderes ist als das gemeinsame Musizieren in einem Proberaum, verdränge aber die Zweifel bereits im nächsten Moment wieder. Sie mögen mich. Und ich mag den Gedanken, meine heimliche Leidenschaft endlich auch öffentlich auszuleben. Selbst wenn sich die Öffentlichkeit auf einen zehn Quadratmeter großen fensterlosen Raum und drei Hobbymusiker beschränkt.
„Also?“ Ich lasse meinen Blick über den Mikrofonständer neben dem Verstärker wandern. „Womit wollen wir anfangen?“
*
„Und da triffst du dich einfach in einem stickigen Raum mit drei fremden Männern in einem Kaff, das noch nicht mal auf der Landkarte steht, nur weil du schon immer gerne singen wolltest ?“
„Was heißt denn hier bitte nur weil ?“ Ich reiche Maik das nächste Hemd in die Umkleidekabine, während ich ihm ein bereits anprobiertes wieder abnehme. „Ich wollte das schon immer mal machen und endlich habe ich mich getraut. Ich hatte gedacht, dass du dich für mich freuen würdest.“
„Klar freu ich mich.“ Maik greift nach dem Hemd und schließt die Garderobentür wieder. „Ich wundere mich nur, dass du dich einfach mit fremden Kerlen triffst, die du noch nie zuvor gesehen hast, nur weil … aber lassen wir das.“
„Es war zumindest interessanter als ein zweistündiger Shoppingmarathon mit meinem Cousin.“
„Hey! Was soll das nun wieder? Du hast versprochen, mir beim Aussuchen zu helfen.“
„Und zu meinem Wort stehe ich. Aber ich dachte, du brauchst nur ein neues Hemd und ein Sakko für die Messe und das hier ist der mittlerweile fünfte Laden und das sicher hundertste Hemd, das du anprobierst.“
„Wer schüttelt denn bei jedem Teil, das ich anziehe, naserümpfend den Kopf?“
„Ich will nur ehrlich sein“, sage ich zu seinen Füßen, dem einzigen Teil von ihm, der hinter der Garderobentür sichtbar ist.
„Hat sich Alex eigentlich nochmal gemeldet?“, fragt er.
„Wir haben neulich gechattet.“
„Gechattet?“
„Ich war spät abends noch online und da war er plötzlich.“
„Online-Stalking?“
„Nicht ganz. Ich war überrascht, aber letztendlich war es ganz gut so.“ Ich denke an die letzte Nachricht, die ich Alex mit tränenblinden Augen geschrieben habe. „Ich habe mir alles von der Seele geschrieben. Ich habe ihm erklärt, dass das mit uns keinen Sinn mehr hat. Dass ich mir selbst treu bleiben will und dass ich mit keinem Mann zusammen sein kann, der mich nicht so akzeptiert, wie ich bin.“
„Und wie hat er reagiert?“
„Gar nicht. Besser gesagt konnte er gar nicht reagieren, da ich unmittelbar danach offline gegangen bin. Ich wollte ihm nicht die Chance geben, wieder mal meinen Willen zu brechen.“
Maik brummt unter dem Stoff eines scheinbar wieder mal viel zu engen Hemdes, das er sich über den Kopf zieht.
„Warum knöpfst du die Dinger nie auf?“, frage ich. Und nicht zum ersten Mal an diesem Nachmittag.
„Weil sie, wenn ich sie so nicht anbekomme, sowieso zu eng sind.“
„Deine Theorien muss ich echt nicht verstehen.“
„Und wann triffst du diese Typen wieder?“, fragt er, den Kopf mittlerweile scheinbar aus den Fängen des heimtückischen Hemdes befreit.
„Die Band?“
„Von mir aus auch die Band .“
„Wir haben uns für morgen Abend verabredet. Letztes Mal haben wir ein paar Sachen von den Beatles, den Bangles und Bon Jovi ausprobiert. Beim nächsten Mal wollen wir ein paar deutsche Sachen testen.“
„Und dann?“
„Was, und dann?“
„Na, wie geht es dann weiter? Casting-Show? Affäre mit dem Drummer? Auftritt auf dem Stadtfest?“
„An Auftritte denkt bisher noch keiner von uns. Wir sind noch ganz am Anfang und müssen ja erst mal gucken, ob es passt. Und nur damit das klar ist: Der Drummer ist in etwa so attraktiv wie du in dem weißen Hemd von vorhin.“
„Wenn du weiter so stichelst, sind wir in drei Stunden noch hier.“
„Vielleicht solltest du einfach mal darüber nachdenken, ob dir eine Diät vielleicht auch ganz gut tun würde.“
„Oh ho. Mrs. Minus Achtzehn Kilo hält sich neuerdings für die Botschafterin der gesunden Ernährung.“
„Minus Einundzwanzig mittlerweile. Abgesehen davon hat gesunde Ernährung noch niemandem geschadet.“
„Nur deiner Beziehung.“ Maik öffnet die Garderobentür und präsentiert sich mit erwartungsvollem Blick in einem bordeauxroten Hemd. „Und bevor du irgendwas Falsches sagst, denk bitte daran, dass dich jedes Naserümpfen eine weitere halbe Stunde in diesem
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