Doppelte Schuld
Infektion als resistent erwiesen. Schlimmer war die Lungenentzündung. Entweder starb er daran oder an Sepsis. Wenn nichts passierte.
Was blieb ihr also anderes übrig? Es kam ihr zwar vor wie eine Art Amtsanmaßung, aber sie war die einzige mit einem gewissen medizinischen Sachverstand, der er vertraute.
Faber murmelte den Namen des Medikaments vor sich hin, während er ihn in seinen Computer eingab, und sah dann auf, mißtrauisch. »Gibt man das neuerdings auch Tieren?«
»Manchmal«, sagte Katalina.
»Wenn du’s nicht wärst …« Er schloß die Bestellung ab und reichte ihr den kleinen gelben Abholzettel über die Theke. »Die Leute haben heutzutage die allerunmöglichsten Vorstellungen davon, was ein Apotheker alles darf.« Faber versuchte sich an einem bescheidenen Gesichtsausdruck. Katalina hätte fast gelacht. Der Medizinmann von Blanckenburg führte sich normalerweise auf wie ein Herrgott in Weiß, gab oder verweigerte, ganz nach Tagesform.
»Zwei Kerle, neulich.« Faber blickte sich um, so als ob er einen Lauschangriff befürchtete. »Die waren mir von Anfang an nicht geheuer.« Er schob mit der Zunge seine Zahnprothese zurecht. »Sie sahen aus wie – na, du hast das ja alles nicht miterlebt. Wie zwei von der Abteilung ›Horch und Guck‹, falls du verstehst, was ich meine.«
Sicher. Katalina lächelte, mit leiser Ungeduld. »Und dann hätte ich noch gern …«
»Ich hab’ ja immer gesagt: Die gibt es noch. Die sind nur in den Untergrund gegangen, nach der Wende. Die sind noch verdammt lebendig.«
Kann sein. Kann auch nicht sein, dachte Katalina. »Walter, hör mal …«
»Mir sind viel zu viele fremde Männer in Blanckenburg. Männer, verstehst du, im richtigen Alter.«
»Touristen, Walter. Also …«
»Ach du liebe Unschuld! Touristen! Touristen kommen mit ihrer Frau oder mit den Kumpels und sehen nicht aus, als ob sie einen Stock verschluckt hätten!«
Faber lehnte sich verschwörerisch über die Theke. »Der Tote, den sie gefunden haben.« Er fuhr sich mit der Handkante über den Kehlkopf. »Da oben, bei euch, im Park. Das waren Profis, sag’ ich dir.«
Die Schelle über der Eingangstür schepperte. »Ach, da stecken ja die zwei Richtigen zusammen«, sagte die Frau mit dem leuchtendroten Haar und streckte Katalina lächelnd die Hand entgegen. »Wichtige Neuigkeiten, Walter?«
»Dir muß ich ja nichts erzählen, du glaubst ja an den lieben Gott!« Der Apotheker hatte die Hände in die Seite gestemmt, und blitzte die neue Kundin kämpferisch an.
»Soll schon mal geholfen haben. Ich kann’s nur weiterempfehlen.« Die Pfarrerin und der Apotheker waren sich in ihrer Abneigung herzlich zugetan.
»Was willst du«, brummte Faber. Klara Buddensen sah Katalina entschuldigend an und spulte dann herunter, was sie einigen ihrer klapprigen Gemeindemitglieder mitbringen sollte. Inkontinenzeinlagen, Bepanthen, Babyöl, Hustenmittel, Aspirin, Klosterfrau Melissengeist.
»Und jetzt ich, Walter«, sagte Katalina entschlossen, als die Buddensen sich verabschiedet hatte. »Pflaster. Mullverband. Kompressen.«
Faber kramte in einer der unteren Schubladen im Regal und legte Mullverband und Kompressen auf den Tresen. Dann sah er sie an, mit zur Seite gelegtem Kopf. »Ich meine es gut mit dir, Katalina«, sagte er leise.
Sie hatte solche Sätze fürchten gelernt. Wer es gut meint, glaubt meistens, die edle Absicht entschuldige die Einmischung. »Wenn du es gut mit mir meinst, dann läßt du mich jetzt zu meinen Patienten gehen.« Sie streckte die Hand nach dem Verbandszeug aus.
»Diese Männer – diese Gestalten …« Faber wedelte mit dem Mullpäckchen.
»Die suchen wahrscheinlich das Bernsteinzimmer, Walter.« Das war Walter Fabers Steckenpferd, wie alle in Blanckenburg wußten. Was die Spezialabteilung der Stasi nicht gefunden hatte, obwohl man jahrelang sämtliche Stollen, Bunker und unterirdischen Anlagen durchsucht hatte, von denen der Harz durchlöchert war, das wollte Faber »mit streng wissenschaftlichen Methoden und« – dabei tippte er sich meistens an die Stirn – »mit einem geschulten Geist« ans Tageslicht befördern. Katalina hatte ihn eines Sonntagnachmittags getroffen, wie er hinter einem Brombeergestrüpp hervorkam, die Grubenlampe an der Stirn und den Klappspaten in der Hand.
Der Alte schüttelte den Kopf mit der weißen Mähne. »Ich weiß nicht, was die suchen, aber …« Er legte eine Kunstpause ein.
Wieder ertönte die Ladenglocke.
»Du bist im Gespräch, Walter?« Der
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