Doppelte Schuld
außerdem sind Sie mir eine Erklärung schuldig.
»Sie haben Katalina Cavic verhaftet! Sie wissen doch, die Frau, die vorgestern abend hier war, mit dem häßlichen Hund!«
Die Tierärztin? Die sollte die Täterin gewesen sein? »Unmöglich.« Mary hätte sich auf die Zunge beißen mögen. Was mischte sie sich ein?
»Das sagen alle.« Die Willke musterte sie neugierig. »Also die meisten.«
Mit anderen Worten: Die üble Nachrede hatte bereits begonnen.
»Und was sagt die Polizei?«
Frau Willke hob die Schultern und ließ sie wieder fallen.
Mary dachte nach. Katalina war als Bauernopfer gedacht, und entweder wußte die Polizei das, oder sie war dumm genug, jeder falsch ausgelegten Fährte auch zu folgen.
»War jemand in meinem Zimmer, Frau Willke?«
»Ja, natürlich!« Die Willke tat gekränkt. »Agnes! Sie sollte die Handtücher wechseln!«
Agnes. Die Handtücher hatte sie nicht gewechselt. Daß das Mädchen sich am Parfüm vergriffen hatte, war immerhin denkbar. Aber daß sie am Schrank gewesen war …
Mary spürte, wie sich die Wut wieder bemerkbar machte, die gute alte Wut. Wer bist du, daß du dich verjagen läßt von ein paar Gespenstern aus der Vergangenheit? flüsterte es in ihr. Bleib und stell dich.
Nein, dachte sie. Die Zeit des falschen Heldentums ist vorbei.
13
Katalina versuchte, das Ganze als Spiel zu sehen. Auf dem Weg durch die Stadt schloß sie Wetten ab – mit sich selbst: Welcher ihrer Kunden würde sie freundlich grüßen und sich nach ihrem Wohlbefinden erkundigen? Wer würde andeutungsweise mit dem Kopf nicken und ansonsten verlegen beiseite schauen? Und wer würde, mit verschlossenem Gesicht, grußlos an ihr vorüberhasten?
Sie hatte bereits drei Wetten gewonnen, als sich ihr Frau Werner mit dem hoheitsvollen Wangtai von Aasenheim in den Weg stellte.
»Es ist ein Skandal«, zischte die Werner. »Es ist ungeheuerlich.«
Katalina konnte sich denken, was Frau Werners geheiligte Ruhe störte: eine Tierärztin, die ihren guten Ruf durch einen Besuch auf dem Polizeirevier verspielt hatte. Und in deren Hände hatte sie ihren kostbaren Chow-Chow gegeben!
Jetzt ging Frau Werner mit erhobenen Händen auf sie zu. Katalina tat unwillkürlich einen Schritt zurück. »Sie armes Mädchen!« sagte die Werner und ließ die Hände mit den rosalackierten Nägeln auf Katalinas Schultern sinken. »Machen Sie sich nichts daraus. Wir sind alle auf Ihrer Seite.«
Katalina lächelte schwach.
»So ein Blödsinn! Wie konnten die nur auf so eine Idee kommen? Früher, als man seine Leute noch kannte …« Die Werner hob theatralisch die Schultern und ließ sie wieder fallen. »Das ist die neue soziale Kälte. Die Anonymität«, flüsterte sie. »Man ist kein Mensch mehr in diesem System.« Sie nickte Katalina verschwörerisch zu. »Bleiben Sie stark«, sagte sie und ging weiter, sichtlich bewegt von den eigenen Gefühlen.
Danach begegnete Katalina glücklicherweise niemand mehr – abgesehen von der Besitzerin des grauen Weimaraners, die wie immer mit einem ziemlich exzentrischen Hutmodell auf dem Kopf durch die Stadt flanierte. Die Frau grüßte, heiter lächelnd, auch das wie immer. Sie hatte wahrscheinlich gar nicht mitbekommen, daß jemand gestorben war und daß Katalina zu den Verdächtigen zählte, die man hierzulande »Zeugen« nennt. Sie lebte nicht in dieser Welt.
Walter Faber ließ den Blick an Katalinas Hals hinuntergleiten, tiefer, bis dorthin, wo ein Ausschnitt Einblicke zulassen würde, wenn ihr Sweatshirt einen hätte. Sie kannte das schon – der Apotheker starrte immer so, egal, ob es etwas zu sehen gab oder nicht.
Abrupt hob er den Blick.
»Hallo, Walter«, sagte Katalina sanft. Der alte Faber sah von Woche zu Woche verrückter aus, er schien sich seine Haare nicht mehr zu schneiden und den Bart wachsen zu lassen. Wenigstens wirkte beides gewaschen.
»Ach, Katalina.« Walter Faber schüttelte den Kopf über die Schlechtigkeit der Welt.
»Alles in Ordnung?«
»Na ja.« Der Apotheker hob die Hände mit den langen weißen Fingern. Der ganze Mann wirkte ausgebleicht.
»Kannst du mir Linezolid besorgen?« Der alte Marten hatte sich mit Händen und Füßen geweigert, in ein Krankenhaus zu gehen, und hatte den Arzt davongeschickt, den Tenharden hatte kommen lassen. Dabei brauchte der Dickkopf dringend ein wirksames Antibiotikum gegen die Infektion mit Staphylococcus aureus, die sich in seinem geschwächten Körper ausgebreitet hatte. Gegen herkömmliche Antibiotika hatte sich die
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