Doppelte Schuld
Die Männer mußten sich aufs Sofa setzen, vor dem der Couchtisch stand, saßen also tiefer und unbequemer. Sager klappte einen Notizblock auf und begann darin herumzukritzeln, noch bevor ihr eine Frage gestellt worden war.
»Es geht um den Toten, den man im Park von Schloß Blanckenburg gefunden hat.« Köster räusperte sich. Sein Kollege ließ den Bleistift über den Notizblock gleiten. Wie ein Gerichtszeichner. Mary sah gebannt zu.
»Der Mordfall Benjamin Dimitroff«, ergänzte Köster und sah sie erwartungsvoll an.
Sie wissen also, wer er ist. Wer er war. Mary nickte.
»Der Tod des Mannes ist zwischen 8 Uhr und 8 Uhr 30 eingetreten, das Opfer wurde von dem Täter oder den Tätern in ein Gebüsch unweit des sogenannten Kutscherhauses im Park von Schloß Blanckenburg geschleift. Als Frau Cavic den Toten gegen kurz nach halb acht fand, war die Leiche noch warm.«
Mary nickte und lächelte, als wolle sie sich für die Information bedanken.
»Der Fundort liegt etwa hundert Meter vom sogenannten Kirchplatz entfernt.«
Jens Sager blickte auf, den Bleistift erhoben. »Das ist ein Plateau, das über den Trümmern der ehemaligen Schloßkirche aufgeschüttet wurde.«
Ja, dachte Mary. Ich weiß. Über der Krypta und dem Grab Gawans des Schrecklichen. Über unserem Versteck.
»Wo waren Sie zu diesem Zeitpunkt?« Köster schob das Kinn vor. Er sah aus wie eine schlechtgelaunte Bulldogge.
»Ich kann mich nicht erinnern«, sagte Mary und gab ihrer Stimme diesen müden Klang, der da hieß: Ich bin schon alt, was sind mir Zeit und Raum?
»Wenn ich helfen darf?«
Sager beugte sich nach vorn, so daß sie einen Blick auf seine Skizze erhaschen konnte. War das sie, dieses verhutzelte Weiblein mit den vielen Falten?
»Sie sind am Abend zuvor in Blanckenburg angekommen. Um 18 Uhr 42, mit dem Harz-Elbe-Expreß aus Halberstadt. Sie haben sich ein Taxi zum Hotel Viktoria Luise genommen.«
Mary nickte und versuchte, sich beeindruckt von dieser Ermittlungsleistung zu zeigen. Der blaugelbe Zug, genannt »Hex«, war fast leer gewesen.
»Sie haben im Hotel eine Mahlzeit eingenommen und sind mit dem Hund gegen 22 Uhr 15 auf Ihr Zimmer gegangen.«
Wird schon so gewesen sein, dachte Mary. Man ist ja nicht mehr zwanzig.
»Als Frau Willke am nächsten Morgen gegen kurz nach halb neun mit der Frühstücksvorbereitung fertig war, kamen Sie mit dem Hund von draußen zurück ins Hotel.«
Sie hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. Wie sollte sie sich daran noch erinnern können nach so langer Zeit?
»Sie hätten atemlos gewirkt. Aussage Willke.« Köster hatte keine Manieren, aber der Gefährlichere war der andere, der Jüngere der beiden.
»Ach wissen Sie, in meinem Alter …« Mary lehnte sich im Sessel zurück. Frau Willke hatte also geplaudert.
»Man hat Sie gesehen an diesem Montag früh. Zur Tatzeit. Auf dem Kirchplatz.«
Also doch nicht die Willke. Katalina Cavic. Aus irgendwelchen Gründen fand sie das schade.
»Und wer soll mich gesehen haben?« Sie zog die Augenbrauen hoch.
»Das tut nichts zur Sache«, sagte Köster streng. »Waren Sie zeitlich und räumlich in der Nähe, als die Tat begangen wurde, oder nicht?«
»Offenbar.« Mary legte ein gewinnendes Lächeln auf.
»Haben Sie irgend etwas bemerkt, etwas Ungewöhnliches?«
Sie tat, als ob sie nachdächte.
»Was führt Sie eigentlich zu uns, Frau Nowak, wenn ich das fragen darf?« Sager hatte aufgehört zu zeichnen. »Und wie schreibt sich Ihr Name? Mit w oder mit v?«
»Mit w.« Mary lächelte wieder.
»Der Tote, dieser Benjamin Dimitroff, ist in der Stadt aufgefallen, weil er nach einem Blindenhund fragte«, sagte Köster ungeduldig und deutete mit dem Kinn auf Lux, die sich zu Marys Füßen niedergelassen hatte und friedlich döste.
»Ihre Adresse?« Sager.
Mary buchstabierte Hesemanns Mühle und erklärte geduldig, wo das Emsland liegt.
»Was ist mit dem Hund?« Köster wurde unwirsch.
»War der Mann blind?« fragte sie zurück.
»Wer?«
»Na, der Tote!«
»Wieso? Natürlich nicht!«
Mary sah ihn ruhig an. »Lux ist ein fast fertig ausgebildeter Blindenführhund, und ich weiß nicht, warum ein gesunder Mensch sich nach einer Behindertenhilfe erkundigt haben soll.«
»Berufskrankheit«, sagte Sager sanft. »Der Mann war es gewohnt, sich nach allerhand zu erkundigen. Ihm gehörte ein Detektivbüro in Berlin, wofür er hoch qualifiziert war. Er hat bis 1990 für die Stasi gearbeitet.«
Sie guckte höflich desinteressiert.
»Ihnen ist ja
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