Doppelte Schuld
keine Aussage mehr machen«, sagte Katalina. »Nicht ohne einen Anwalt.«
Die beiden sahen sich an, so, als ob sie schon darauf gewartet hätten, daß sie sich endlich wehrte. Katalina hätte schreien können vor Hilflosigkeit. Wieder nickte Köster.
Daß man sie gehen ließ, wunderte sie. Sie ging zögernd, erwartete jede Minute, zurückgerufen zu werden. Der Flur, der zum Ausgang führte, kam ihr endlos vor. Als sie Schritte hinter sich hörte, blieb sie stehen. Sie spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte. Es half wenig, sich klarzumachen, daß sie in Deutschland lebte und nicht in einem von einem blutigen Bürgerkrieg zerrissenen Land.
»Ach übrigens …« Sager, samtweich.
Sie drehte sich langsam um.
»Was tragen Sie für ein Parfüm?«
Die Frage war so absurd, daß sie lächeln mußte. »Gar keins. Warum?«
Sager zuckte die Schultern. »Nur so. Und falls es Sie interessiert: Wir haben den Toten identifiziert. Er hieß Benjamin Dimitroff, ihm gehörte ein Detektivbüro namens Hermes in Berlin.«
Er hieß Frank Beyer, hätte sie fast gesagt.
»Noch wissen wir nicht, was genau er in Blanckenburg wollte und wer ihm den Auftrag erteilt hat.«
Einen Blindenhund zu suchen, ich weiß, dachte sie.
»Kurz zuvor hielt er sich in Mostar auf. Er war auf der Suche nach einem gewissen Ivo Cavic.«
Katalinas Kopf fühlte sich an, als ob sich da drinnen eine Roulettekugel drehte und drehte.
»Ein Verwandter?«
Sie blieb stumm und wartete auf das Klicken, mit dem die Kugel landete. Auf Farbe oder Zahl.
»Ihr Vater?«
Sie versuchte den Kopf zu schütteln, obwohl sie nicken wollte.
»Ihr Vater ist Opfer einer Denunziation geworden, wußten Sie das?«
Sie sah nicht auf.
»Na ja«, sagte Sager und lachte dümmlich. » Cherchez la femme. Eine Frau hat ihn verraten.«
Katalina schloß die Augen. Sah das grobe Gesicht, die rote Wut, die schmutzigen Hände, die Stiefel und die Blutlache unter der Küchenspüle. Ohne die Augen wieder zu öffnen, drehte sie sich um. Diesmal zögerte sie nicht, als sie durch die Schwingtür am Ende des Flurs ging, die Eingangshalle durchquerte, dem Mann an der Pforte zunickte und das Haus verließ.
Der Himmel über ihr sah aus wie dünne Milchsuppe, es war schwül geworden, während man sie im Polizeikommissariat hatte warten lassen. Wahrscheinlich würde heute niemand in die Praxis kommen, ältere Menschen blieben bei einem solchen Wetter zu Hause, egal, wie elend sich ihre Haustiere fühlen mochten.
Eine junge Frau mit einem schreienden Kind im Kinderwagen kam vorbei. Im Haus gegenüber hatte eine Frau mit weißen Löckchen ein Kissen ins offene Fenster gelegt und starrte sie neugierig an. Auch das ist noch heute rum, dachte Katalina. »Blanckenburgs Tierärztin unter Verdacht«. Sie sah schon die Schlagzeilen in der Harzer Volksstimme.
Und dann erblickte sie Moritz. Er hatte die Hände in die Taschen seiner Jeans gesteckt und beobachtete sie. Jetzt begann er zu lächeln, dieses unnachahmliche Lächeln, ein bißchen windschief. Sie gingen aufeinander zu.
»Man kann dich nicht einen Tag allein lassen«, sagte er streng. Dann nahm er sie in den Arm.
Bei einem kurzen Frühstück bei Ettore überließ sie sich dem Gefühl, ihm wieder nahezusein. Fast hätte sie ihm erzählt, daß sie den Toten gekannt hatte. Es gab nur einen Grund, warum sie es nicht tat: Der Tote hatte offenbar nach ihrem Vater gesucht. Und sie wollte nicht über ihren Vater sprechen. Mit niemandem. Schon gar nicht mit Moritz.
12
Der Laut brauchte lange, bis er zu ihr durchdrang. Sie wurde ungern wach, aber Lux winselte und wollte raus. Mary setzte sich auf und legte die Fingerspitzen an die Schläfen. Der Wecker zeigte zehn nach elf. Das Frühstück war längst vorbei. Und sie hatte gestern abend mehr getrunken, als sie gewohnt war. Üben, dachte sie und verzog das Gesicht.
Mit steifen Knien ging sie hinüber ins Bad, zum Waschbecken, tauchte die Hände in den kalten Wasserstrahl und badete ihr Gesicht. Als sie aufblickte, sah sie im Spiegel eine alte Frau, farblos und müde. Lux jammerte jetzt lauter. Mary schlüpfte in Hose und Schuhe, zog sich die Kapuze der Regenjacke tief ins Gesicht und hoffte, daß ein gnädiges Geschick ihr die Aufmerksamkeit von Frau Willke ersparte.
An der Rezeption saß Carlo, gottlob, und er sah wie üblich nicht auf. Lux erleichterte sich noch in der Blumenrabatte. Mary sah sich um, ein bißchen peinlich war ihr das schon. Aber es war weit und breit niemand zu sehen, auch der
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