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Doppelte Schuld

Titel: Doppelte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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eine lustlose Affäre mit Werner, von dem ihr nur in Erinnerung geblieben war, daß er über einen Schrebergarten mit einer Hütte verfügte und nach dem Orgasmus weinte. Sie begann, den Sozialismus für eine im Prinzip gute Idee zu halten, nur wurde sie schlecht durchgeführt. Sie ließ das Leben vergehen, es fiel ihr noch nicht einmal auf.
    Wenn sie Parfüm benutzte, legte sie »Schwarzer Samt« auf. Das war nicht nur politisch korrekt, es blieb ihr auch gar nichts anderes übrig. Vol de Nuit , ihr Markenzeichen, gab es ohne Henry nicht.
     
    Es mußte Martin Axt gewesen sein, der sich die Mühe gemacht hatte, Bennys Leiche mit Vol de Nuit zu parfümieren.
    Die Katze. So lautete damals sein Kampfname, als er fünfzehnjährig im kommunistischen Untergrund gegen die Nazis kämpfte. Er war ein hübscher Kerl gewesen, schlank, dunkelbraune, kurzgeschnittene Locken, blaue Augen, eine ausgeprägte, geradezu sinnliche Unterlippe und ein Grübchen am Kinn. Er hatte Denkerfalten auf der Stirn und die Eigenart, die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger zu halten, wie ein proletarischer Held der Arbeiterklasse oder wie das Klischee davon.
    Ihre Affäre dauerte nicht lange, sie hatte ihn gemocht, aber nicht geliebt. Ihren Fehler hatte sie schon bald begriffen: Sie hatte ihn gedemütigt.
    Er klammerte sich an die eigene Legende vom unerschrockenen Kämpfer, er fühlte sich als Mann. Nur in ihrem Bett war er es nicht gewesen.
    Martin Axt. »Sehr ehrgeizig. Keine erkennbaren Laster. Jähzornig.«
     
    Mary überquerte den Marktplatz und nahm den Weg hoch zur Bartholomäuskirche. Lux lief vor ihr her, mit aufgestellten Ohren und schwebendem Schweif, schnüffelte hier, verharrte dort. Sie war ein Blindenführhund, der beste, den Mary je ausgebildet hatte. Aber sie würde Lux nicht fortgeben, nicht an Ernst Kellerhoff und auch nicht an einen anderen Blinden. Den Geldverlust konnte sie sich leisten, schade war es um das verschwendete Talent des Hundes. Aber Lux war es ihr wert. Das Tier ist glücklicher, wenn es bei mir bleibt, redete sie sich ein.
    Oder machte sich da ein Hintergedanke bemerkbar? Was wäre, wenn es zum Äußersten käme und der Befehl sich als ihr einziger Schutz herausstellte? »Sirius …« Nein, dachte sie, fühlte sie, als sie die Hasselfelder Straße hinauflief, dem Hund hinterher, der sein Stöckchen wie eine Auszeichnung im Maul trug und erst vor dem Hoteleingang fallenließ. Sie würde mit der Lage allein fertig werden.
    Frau Willke saß im Speisesaal und zerknüllte eine Serviette zwischen den Fingern. »Was war das bloß für eine Nacht«, sagte sie zur Begrüßung, stand auf und strich sich den Rock glatt. »Ein Glas Wein? Wie immer?«
    Ein Tisch war eingedeckt, nur für eine Person. Mary nahm den Stuhl am Fenster. Draußen auf der Terrasse hatte jemand die Zweige und zerfetzten Blätter auf einen Haufen gekehrt, das umgestürzte Buchsbäumchen hatte einen neuen Topf bekommen, und nur eine der Lampen, deren Glas ein fallender Ast zerschmettert hatte, stand noch immer schief auf der Terrassenbrüstung.
    Frau Willke stellte eine Flasche Weißburgunder und zwei Gläser auf den Tisch und goß beiden ein. Sie schniefte vernehmlich. »Sie kennen ja niemanden hier, aber … Der alte Marten ist tot. Eine treue Seele. Hat schon dem Grafen gedient.« Sie ließ sich auf den Stuhl neben Mary fallen und tupfte sich mit der Serviette die Augen. »Dem alten Grafen.«
    Mary setzte das Glas behutsam ab, sie hätte den Wein fast verschüttet. Sie erinnerte sich gut an Marten. An einen Jungen mit roten Wangen, er mußte ein paar Jahre jünger gewesen sein als sie, er hatte gerade angefangen als Stallbursche, als sie zu Besuch war auf Blanckenburg. Im Sommer 1939. »Ein lieber Junge«, hatte Onkel Gero gesagt. »Ein bißchen einfach. Aber eine gute Seele.«
    In Wirklichkeit hatte niemand eine bessere Seele gehabt als Onkel Gero selbst. Gero Graf von Hartenfels zu Blanckenburg, der Vater von Gregor und Folkert. Bei ihrem ersten Besuch bei Mamas Cousine Betty, damals war sie nicht älter als zehn oder elf gewesen, hatte er »Du bist also Minas Jüngste« gerufen und seine Hand unter ihr Kinn gelegt, was sie normalerweise gar nicht mochte. Nur Onkel Gero durfte das.
    Und Marten … der Junge hatte den Grafen vergöttert.
    Sklavenliebe, sagte eine spöttische Stimme. Nicht sehr fortschrittlich. Siehe Grundkurs Marxismus-Leninismus.
    »Die Alten sterben, und die Jungen gehen«, sagte die Willke und schneuzte sich. »Es liegt

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