Doppelte Schuld
nach Moritz tasten, es war sein Bett, sein Schlafzimmer im Traiteurshaus von Schloß Blanckenburg, wohin sie sich gestern geflüchtet hatte, nachdem das Kutscherhaus kein Ort mehr war, an dem sie sich geborgen fühlte.
Der Schmerz schoß hoch bis in beide Schultern, als sie versuchte, die Hand auszustrecken. Sie wollte sich umdrehen, aber etwas hielt ihre Handgelenke auf dem Rücken fest. Ihr Mund war wie zugeklebt. Katalina lauschte in die Dunkelheit. Es hörte sich nicht so an, als wäre außer ihr noch jemand im Raum. Auch Moritz war fort.
Und jetzt erinnerte sie sich wieder. Sie waren in der Nacht gekommen – wie viele Männer? Sie wußte es nicht. Da waren dunkle Schatten, heiseres Flüstern, dann Moritz’ Aufschrei und sein wütendes Keuchen gewesen, während sie ihn überwältigten. Und plötzlich explodierte etwas auf ihrem Kopf, dann in ihrem Kopf. Filmriß.
Es dauerte eine Weile, bis sie wach genug war, um die Lage zu begreifen. Moritz war fort, sie hatten ihn offenbar mitgenommen. Sie stöhnte auf. Nicht sie war das Ziel einer weiteren Attacke gewesen: Das hier galt Moritz.
Katalina drehte sich wieder auf die Seite und setzte sich mühsam auf. Dann robbte sie über das Bett, bis sie ihre Füße auf den Boden stellen konnte. Es war ungewohnt, ohne die Hilfe der Hände und Arme aufzustehen. Die Uhr auf Moritz’ Nachttisch zeigte halb fünf. Draußen war es stockdunkel. Endlich stand sie. Sie ging auf unsicheren Beinen zum Fenster, das gekippt war. Unwahrscheinlich, daß jemand um diese Zeit vorbeikäme. Und helfen würde es ihr auch nicht – sie könnte ja doch nur ein unartikuliertes Brummen und Quietschen hervorbringen.
Immerhin hatten sich die Wolken verzogen, und man schaute auf einen klaren Himmel. Als sie ihren Blick senkte, sah sie ein Licht gegenüber auf der anderen Seite der Stadt, im Hotel Viktoria Luise. Vielleicht war Mary Nowak wach?
Sie schickte inständige Bitten zum einsamen Licht dort drüben. Das war natürlich vollkommen sinnlos und tröstete sie noch nicht einmal.
Katalina ging zum Bett zurück und ließ sich hineinfallen. Irgendwann würde irgendwer sie finden. Aber was war mit Moritz? Wer immer sie überfallen hatte, wollte etwas. Geld? Moritz und der Graf waren pleite, das war allgemein bekannt. Also was sonst? Sie hörte ihr Herz klopfen, verdächtig laut jetzt. Und was, wenn sie wiederkämen?
Sie versuchte, ihre Arme zu bewegen, aber das, was sich wie Plastikschnur anfühlte, ließ ihr keinen Spielraum. Katalina stiegen die Tränen in die Augen, aus Wut, nicht nur aus Angst. Sie hatten Moritz verschleppt, und sie konnte nichts tun. Sie haßte ihre Hilflosigkeit.
Und dann hörte sie den Laut, draußen, unter dem Fenster. Ihr Herz stolperte und schlug schneller. Sie hielt die Luft an, damit ihr kein Geräusch entging. Da war es wieder. Ein Scharren und Kratzen und Winseln. Zeus. Er mußte sich irgendwie aus dem Kutscherhaus befreit haben, er hatte sie gesucht und natürlich gleich gefunden. Wieder robbte sie auf dem Bett vor bis zur Bettkante und versuchte aufzustehen. Der Krampf in der linken Wade traf sie mit einer Wucht, die sie in die Knie zwang. Sie stöhnte auf vor Schmerz und Frustration.
Das Winseln draußen ging in ein Kläffen über, dann hörte sie eine Stimme, es klang wie die von Tenharden, der versuchte, Zeus zu beruhigen. Es klingelte, erst einmal, dann immer wieder. Dann Dauerbetrieb. Katalina biß die Zähne zusammen und versuchte, wieder hochzukommen. »Niemand da«, hörte sie Tenharden sagen. Diesmal rutschte sie auf den Knien hinüber zum Fenster und versuchte, einen Ton von sich zu geben, der da draußen zu hören sein würde. Tenharden schien Zeus vom Haus wegzuziehen. Der Hund jaulte verzweifelt.
Katalina sank zu Boden. Zeus’ Panik schmerzte sie mehr als ihre Lage. Man würde sie finden, Tenharden würde wiederkommen, da war sie sich sicher. Nur wann?
Sie kroch zurück zum Bett und rettete sich in tröstende Zukunftsvisionen: Moritz kam zur Tür herein. Ihm war nichts passiert. Der Mörder von Benny Dimitroff war gefunden worden. Die Polizei entschuldigte sich bei ihr. Und dann … ein Happy-End? Ihr Mund wollte sich schon zu einem Lächeln verziehen. Der Schmerz holte sie in die Wirklichkeit zurück.
Vielleicht gab es ja doch noch so etwas wie Glück und Heimat und Liebe. Aber das schien ihr plötzlich entfernter als jemals zuvor.
Sie mußte eingedämmert sein und wachte erst auf, als sie wieder eine Stimme draußen hörte, eine klare,
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