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Doppelte Schuld

Titel: Doppelte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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lediglich nach, was sie beide längst besaßen: ein Leben in Freiheit und Glück.
    Das Abendessen. Sie schnitt Schinken auf und kochte harte Eier. Henry mußte bald zurücksein.
    Als das Telefon klingelte, rief sie »Wo bist du?« in den Hörer, es konnte ja nur einer sein. Aber es war Peter Wilson von der Polizei, der sie verlegen »Ma’am« nannte, obwohl sie sich seit Jahren duzten. Da wußte sie Bescheid.
    »Wo?«
    Er antwortete ebenso knapp. »An der Brücke hinter Teigngrace.«
    Sie nahm das Fahrrad. Zehn Minuten später war sie an der Unfallstelle. Die Straße verlief vor der Brücke in einer leichten Rechtskurve. Henrys Rover war weiter geradeaus gefahren, auf die Gegenfahrbahn geraten und dann durch die alte Brückenmauer gebrochen. Die Steine dürften nicht viel Widerstand geleistet haben. Unten in der Schlucht gurgelte der Bovey. Sie sah das Auto auf halber Strecke den Abhang hinunter auf der Seite liegen.
    »Ich bring dich zu ihm«, murmelte Peter, als sie abstieg und das Fahrrad an die Böschung lehnte. Sie blickte hinüber, dorthin, wo das Auto durch die Mauer gebrochen war. »Keine Bremsspuren«, sagte sie.
    Peter nickte. »Er ist einfach weitergefahren. Und zwar mit einem Wahnsinnstempo.«
    »Aber …« Das konnte nicht sein. Henry fuhr so vorsichtig, daß sie ihn manchmal entnervt bat, wenigstens ein bißchen mehr Gas zu geben.
    »Ging es ihm nicht gut? War er krank?«
    Sie schüttelte den Kopf. Henry war bester Laune gewesen beim Frühstück und hatte von einer Bergwandertour in Schottland gesprochen, die er mit ihr machen wollte, im Frühjahr. Sie folgte Peter den Abhang hinunter. Als sie näher kamen, gaben die Feuerwehrleute den Blick auf das Autowrack frei. Henry saß vornübergesunken hinter dem Lenkrad. Der Kühler des Autos war zusammengedrückt, die Windschutzscheibe zersplittert, die Scheibe des Seitenfensters auf Fahrerseite hatte man eingeschlagen. »Henry?«
    Sie streckte die Hand nach ihm aus und strich ihm sanft über die Schläfe, die sich kühl und glatt anfühlte.
    »Er ist tot«, sagte Peter. »Er war schon tot, als wir ankamen.«
    Henry. Sie hätte ihn so gerne in den Arm genommen und wie ein Kind gewiegt. Sie zwängte den Kopf durch das Seitenfenster und küßte seine Wange. Dann schloß sie ihm die Augen. Daß sie sich das Jackett aufgerissen hatte an den Resten der zerbrochenen Scheibe und blutete, merkte sie erst, als der Notarzt ihr ein Beruhigungsmittel geben wollte. Aber sie wollte kein Beruhigungsmittel. Und am liebsten hätte sie sich das spitze Stück Glas, das man aus ihrer Schulter zog, ins Herz gestoßen.
    Ab da stand das Leben still. Die Autopsie ergab keine überraschenden Erkenntnisse. Henry war kerngesund gewesen. Dennoch mochte niemand eine plötzliche Ohnmacht ausschließen. Selbstmord bestritt Mary. Für Fremdverschulden gab es keinen Anhaltspunkt.
    Natürlich hatte sie damals schon einen Verdacht gehabt. Aber sie war blind gewesen – blind vor Trauer.
    Sie hatte das Haus verkauft und war zurückgekehrt nach Deutschland, ins Emsland, zurück zu Hesemanns Mühle. Karl war schon seit Jahren Witwer. Sie hatten ein friedliches Arrangement gefunden, das sie nie hätte verlassen dürfen.
    Nie? Im Gegenteil. Du hast viel zu lange gewartet. Erst Henry, dann Paul, dann Benny. Jetzt sind wir nur noch zu zweit, Martin Axt, dachte sie.
    Und ich rate dir eines: Laß Gregor aus dem Spiel.
6
    Ein Albtraum: weglaufen wollen, aber die Beine versagen. Schreien wollen, aber kein Laut dringt aus der Kehle. Die Hände heben, zu Fäusten ballen, dem Angreifer ins Gesicht schlagen. Aber kein Muskel reagiert, wehrlos sieht der in einem gelähmten Körper eingesperrte Geist das Verhängnis näher kommen, die dunklen Gestalten, die Schläge, die Hand über dem Mund, über der Nase. Kein Schrei dringt hinaus, keine Atemluft herein. Ersticken in der schwarzen Luft. Untergehen im eisigen Wasser. Blei in den Adern, in der Lunge.
    Katalina wollte den Mund öffnen, tief Luft holen, endlich schreien, um Hilfe rufen. Aber es kam nur eine Art Gurgeln zustande, der Schmerz, der an ihren Lippen riß, holte sie endgültig aus der Bewußtlosigkeit.
    Zeus? Sie hörte nichts. Sie spürte nichts. Der Hund war nicht da. Sie versuchte, etwas zu erkennen, ihr rechtes Auge ließ sich nicht öffnen, aber sie erahnte die Konturen des Schranks. Ein Sessel, unter dem Fenster. Eine Kommode, darüber der Spiegel. Sie wußte wieder, wo sie war – nicht in ihrem Schlafzimmer, nicht zu Hause. Ihre Hand wollte

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