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Doppelte Schuld

Titel: Doppelte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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kein Segen über diesem Land.«
    »Woran ist er gestorben?« Mary fragte behutsam. Sie hatte Angst vor der Antwort.
    »Marten? Ach, er war schon lange krank. Aber er ließ ja niemanden an sich ran. Außer Tenharden und Katalina.«
    Die Tierärztin. Schon wieder.
    »Die arme Katalina. Bei ihr ist eingebrochen worden. Die müssen einen Saustall hinterlassen haben.«
    Mary legte das Buttermesser beiseite.
    »Vandalen«, sagte die Willke.
    Die Zeichen mehrten sich. Mary erkannte sie. Das einzige, was sie nicht verstand, war die Rolle von Katalina Cavic. Was wollte Axt von der Frau? Er versuchte sie einzuschüchtern, soviel war klar. Aber warum?
    »Im Schloßpark sind zwei Bäume umgestürzt. Und eine der Skulpturen ist vom Schloßturm gefallen.« Frau Willke wußte offenbar, wie man einem Katastrophenbericht zum Schluß noch eine dramatische Steigerung verleiht. Aber Mary hatte es bereits gesehen. Der Turm sah aus, als ob ihm ein Eckzahn ausgefallen wäre. Es mußte die allegorische Darstellung der Calliope sein, die es vom Turm geweht hatte. Die Muse des epischen Gesangs. Wenigstens hatte es nicht Clio erwischt, was ein wahrhaft schlechtes Omen gewesen wäre.
    Sie beschränkte sich auf die Vorspeise, was bei Frau Willke besorgtes Kopfschütteln auslöste, und nahm die noch halbvolle Flasche Wein mit aufs Zimmer. Sie mußte sich besinnen, auf alte Tugenden und alte Unarten. Gelernt ist gelernt, dachte sie. Und auf eine Kampfansage muß man antworten. Lux ließ sich auf ihr Lager fallen, als hätte sie einen besonders anstrengenden Tag hinter sich. Mary setzte sich in den Sessel am Fenster und sah hinaus. Die Vergangenheit holt dich ein, dachte sie. Ein Klischee, aber es trifft den Punkt.
     
    Im nachhinein erschienen ihr die zwanzig Jahre Glück mit Henry als das Unwahrscheinlichste überhaupt. Sie war mit ihm auf einer Insel gewesen, auf der es grünte und blühte, während draußen die Welt versteinerte. Alle hatten geglaubt, daß die Mauer für die Ewigkeit gebaut und der Konflikt zwischen den Großmächten unauflöslich sei, es sei denn, es käme zu einem tödlichen Finale. Privates Glück galt nichts in diesen verhängnisvollen Zeiten, nur hier, in St Peter’s Close, zwischen Rosenstöcken, Fünf-Uhr-Tee und einer Liebe, die um so überraschender war, als sie so spät kam.
    Erst in Devon hatte sie sich langsam daran gewöhnt, daß es ein Leben gab ohne den Geschützdonner der Ideologien, ohne Parolen und Bekenntnisse, ohne die Aufforderung, sich einer Sache hinzugeben, sei die Sache das Vaterland oder der Sozialismus. Da draußen ging er weiter, der kalte Krieg, den sie beide lange genug geführt hatten. Und nie wäre ihr in den Sinn gekommen, daß er einmal zu Ende gehen könnte – mit einem Winseln, nicht mit einem Knall. Doch als der Eiserne Vorhang aufging, wehten die Fröste der Freiheit über den Ärmelkanal bis nach Devon und brachten das Ende ihrer Idylle.
    Sie hatte Henry verloren, weil sie die andere Welt da draußen vergessen hatte.
     
    Ein Herzanfall. Es war ein Herzanfall, hatte der Arzt gesagt, Henry müsse die Kontrolle über das Auto verloren haben.
    Es war warm gewesen an diesem 13. Februar, viel zu warm für die Jahreszeit, und dennoch nicht ungewöhnlich hier, in der Nähe der Küste. An solchen Tagen roch der Wind nach Meer und Torf. Der Morgen hatte mit Toast und Limettenmarmelade begonnen, der Küchenherd summte, und die Meisen tobten in der Rhododendrenhecke. Henry war mit dem Auto nach Newton Abbot gefahren, Zeitschriften und Bücher kaufen und andere Kleinigkeiten erledigen.
    Rhododendren und Rosen. Rambling Rector und Gloire de Dijon und Souvenir de la Malmaison. New Dawn und Cardinal Richelieu und Shropshire Lass. Und die wunderbare Roseraie de l’Hay.
    An diesem letzten Tag in einem trügerischen Frieden, von dem sie glaubte, daß er das Leben sei, hatte sie den frühen Nachmittag damit verbracht, die Rosen zu schneiden. Totholz entfernen, Seitentriebe auf zwei Augen zurückschneiden, die langen Triebe der Kletterrosen neu binden. Kratzer auf den Armen, Dornen in den Fingern. Die Paste aus feinzermahlenem Bimsstein, mit der sie ihre Hände reinigte, duftete nach Beinwell, Ringelblumen und Rosmarin.
    Dabei hatte sich die Welt längst verändert. Die Berliner Mauer war gefallen, die DDR löste sich auf, der kalte Krieg war vorbei, vor dem sie sich zwanzig Jahre lang sicher gefühlt hatte. Das Ende der Eiszeit ging sie nichts an, hatte sie geglaubt, sie und Henry. Die Welt holte

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