Doppelte Schuld
Tür läutete, machte Katalina nicht auf. Als ihr Mobiltelefon sich meldete, ging sie nicht dran. Als Zeus unruhig wurde, schickte sie ihn allein vor die Tür. Sie aß nichts, sie trank nichts. Und sie machte kein Licht an, als es dunkel wurde. Sie blieb auf ihrem Stuhl vor dem Schreibtisch sitzen und wagte nicht, sich zu rühren aus lauter Angst, daß irgend etwas in ihr sie zwingen könnte, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen oder sich vor Schmerz das Gesicht zu zerkratzen.
Es gab nichts und niemanden mehr auf der Welt, der sie etwas anging. Früher hatte sie diesen Zustand beruhigend gefunden. Heute fühlte sie sich wie ausgestoßen.
Erst als der Mann vor ihr stand, gefolgt von Zeus, der ihn wütend ankläffte, fiel ihr wieder ein, daß sie die Haustür offengelassen hatte.
»Wir müssen Sie bitten mitzukommen«, sagte der Mann, der eine Sonnenbrille trug, obwohl die Sonne längst untergegangen war.
Katalina rührte sich nicht.
»Es ist dringend.«
Was ist schon dringend? Sie sah an ihm vorbei und streichelte abwesend den Hund, der sich kaum beruhigen wollte.
»Der Graf – es geht ihm schlecht.«
»Er ist im Krankenhaus. Man kümmert sich um ihn.«
»Nein.« Der Mann beugte sich zu ihr hinunter. »Er ist nicht im Krankenhaus, und er will auch nicht dahin zurück. Sie sind die einzige, die ihm helfen können. Hat er gesagt.« Der Mann roch nach Zigarettenrauch und Herrenparfüm. Er packte sie am Oberarm und zog sie hoch.
Die Muskeln in ihren Beinen zitterten, als ob sie einen Marathonlauf hinter sich hätte. »Bleib hier, Zeus«, sagte sie schwach. »Ich bin gleich wieder da.« Dabei wußte sie gar nicht, wo man sie hinbringen wollte. Aber auch das war ihr im Grunde ihres Herzens egal.
Sie mußten ein Stück durch die Nacht gehen, das Auto parkte auf dem Platz vor dem Traiteurshaus. Der Gedanke an die letzte Nacht mit Moritz nahm ihr die Luft. Nie mehr, dachte sie. Nie wieder. Warum tat das bloß so weh?
Der Mann ließ sie einsteigen und setzte sich auf den Fahrersitz. Dann fuhren sie los.
Es war Herbst geworden, ohne daß sie es mitbekommen hätte. Nasse Blätter flatterten gegen die Windschutzscheibe und klemmten sich unter die Scheibenwischer. Über den Himmel rasten dunkle Wolkenfetzen, und die Bäume am Wegesrand krümmten sich im Wind.
Katalina wunderte sich über gar nichts mehr, auch nicht darüber, daß man sie nicht zum Schloß brachte, sondern ins Hotel Viktoria Luise. Frau Willke empfing sie in der Lobby, sie wedelte mit den Händen und gackerte wie ein aufgescheuchtes Huhn.
»Gut, daß Sie kommen. Er war doch kürzlich erst … vielleicht sollte man ihn … im Krankenhaus …«
»Beruhige dich. Frau Cavic hier weiß, was zu tun ist.«
In der Tür zum Roten Salon stand ein Mann, klein, elegant gekleidet, schon älter. Das Auffälligste an ihm waren seine gepflegte Glatze und die ausgeprägten Lippen.
»Danke, daß Sie gekommen sind, Katalina. Ich darf doch Katalina sagen?«
Sie zuckte mit den Schultern. Auch das war ihr egal.
»Der Graf hat einen Schwächeanfall erlitten und verlangt nach Ihnen.«
»Wo ist er?«
Der Mann streckte ihr die geöffnete Hand entgegen, als ob er sie aufhalten wollte. »Wir haben Medikamente da, aber es braucht natürlich eine kundige Person. Und – wenn ich Sie um einen Gefallen bitten dürfte?«
Der Mann hatte eine einschmeichelnde, ja einlullende Stimme. Er war ihr unangenehm.
»Er macht sich Sorgen um Mathilde von Bergen. Sie kennen sie auch als Mary Nowak. Sagen Sie ihm doch bitte, dazu gebe es nicht den geringsten Anlaß. Frau von Bergen ist eine notorische Betrügerin, die fremdes Eigentum veruntreut hat. Wir wollen diese Person überführen, deshalb die kleine Maßnahme, zu der wir den Grafen und seinen Adoptivsohn sozusagen zwangsverpflichtet haben.« Der Mann lachte, als ob er einem Kind einen Lutscher zugesteckt hätte. »Aber natürlich wird ihr kein Härchen gekrümmt. Frau von Bergen ist im Besitz eines Schließfachschlüssels, der ihr nicht gehört. Den hätten wir gern wieder. Mehr nicht. Verstehen Sie, Frau Cavic?«
Mathilde von Bergen eine Betrügerin und ihr Sohn ein Verräter. Katalina hielt alles für möglich, aber was bedeutete das schon? Sie nickte.
»Hier entlang«, sagte der Mann und öffnete die Tür zum roten Salon. »Ich lasse Sie mit Ihrem Patienten allein.«
Gregor lag auf der Couch, in eine Decke gehüllt, obwohl ein Feuer im Kamin brannte. Er war nicht bei Bewußtsein, aber er atmete ruhig. An seiner Schläfe
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