Doppeltes Spiel (German Edition)
davonzulaufen.«
»Ja«, sagte Lysette beschämt, »ja, das war es. Ich entschuldige mich für alles, Madame.«
»Geneviève«, klang es zu ihrer Überraschung aus dem Lautsprecher. »Dann freue ich mich, Sie wiederzusehen. Ich glaube, Sie sind ein weitaus angenehmerer Mensch als Margo. A tout à l'heure , Lysette - bis gleich.«
»Warten Sie«, rief Lysette. »Charlot lässt mich zappeln. Was ist mit Nick? Hatte er wirklich einen Unfall?«
»Ja«, sagte Geneviève. »Das stimmt leider. Wir sehen uns gleich.«
Sie hatte aufgelegt. Lysette biss vor Aufregung auf ihren Daumen. Warum hatte Geneviève sie kommen lassen? Denn es war klar, dass Nicholas' Tante hinter der Aktion steckte.
»Wie geht es eigentlich Philippe?«, fragte Lysette, um sich von ihrer Nervosität abzulenken.
Charlot gab ein undeutbares Geräusch von sich. »Er ist fort«, sagte er. »Hat einen Riesenskandal gegeben. Ich weiß nicht, ob Sie mitbekommen haben, was er so getrieben hat?«
Lysette nickte unbehaglich.
»Na, jedenfalls ist er jetzt weg. Ich glaube nicht, dass ihm jemand nachweint«, setzte er süffisant hinzu. Charlot jedenfalls gehörte offensichtlich nicht zu denen, die Philippe vermissten.
Sie erreichten Villes sur Auzon und fuhren, statt zum Gut hinauf, wie Lysette eigentlich erwartet hätte, zum Mas.
Charlot hupte einmal kurz und parkte das Auto. Die Tür des Landhauses ging auf, Sandrine winkte und lachte, rief: »Madame Kelling, ach, das ist schön!« Ehe Lysette sich versah, hatte die Haushälterin sie in eine feste Umarmung gezogen und ihr rechts und links einen herzhaften Kuss auf die Wangen gegeben. Dann ließ sie Lysette los, rieb ein wenig verlegen ihre Hände an der Schürze ab und sagte: »Madame ist im Salon.«
Lysette öffnete die Tür zum großen Zimmer. Tante Geneviève stand am Fenster und schaute in den Garten. Sie drehte sich um, als sie Lysettes Schritte hörte, und lächelte.
»Lysette«, sagte sie. »Ich freue mich, dass wir uns nun unter etwas anderen Umständen wiedersehen.«
Lysette nahm die angebotene Hand und erwiderte den festen Druck. »Warum haben Sie mich kommen lassen, Geneviève? Und warum haben Sie mich hergelockt, statt mich einfach zu fragen, ob ich kommen möchte?«
Geneviève runzelte die Stirn. »Wären Sie denn gekommen, wenn ich Sie darum gebeten hätte - und nicht Nick?«
Lysette dachte nach. »Nein, wahrscheinlich nicht«, gab sie zu. Und fügte bedrückt hinzu: »Er will nichts mehr von mir wissen, oder?«
Geneviève lächelte. »So hart würde ich es nicht ausdrücken, nein. Aber er hat seinen Stolz, und den haben Sie mit Ihrer Charade empfindlich getroffen. Ich denke nicht, dass er von sich aus Anstalten gemacht hätte, sich Ihnen wieder zu nähern.« Sie ließ sich auf dem eleganten Sofa neben dem Fenster nieder und bedeutete Lysette, sie möge sich in den Sessel gegenüber setzen. Sandrine kam mit einem Tablett herein und servierte schweigend Tee.
»Warum bin ich hier?«, fragte Lysette, als Sandrine das Zimmer wieder verlassen hatte.
Geneviève rührte Kandis in ihren Tee und nahm einen vorsichtigen Schluck. »Warum sind Sie hier«, wiederholte sie nachdenklich. »Liebes Kind, glauben Sie mir, ich hätte in diesem Winter keinen Gedanken mehr an Sie und Ihre Schwester verschwendet. Ich hatte genügend mit meinen anderen familiären Problemen zu tun.« Ihre Miene verdüsterte sich.
»Philippe«, mutmaßte Lysette.
»Mein ungeratener Neffe, ja.« Geneviève kniff die Lippen zusammen. »Nun gut, das ist eine andere Geschichte. Aber während ich mich damit herumgeschlagen habe, den Deckel auf dem Skandal zu halten, Philippes Schulden zu sichten - und zu bezahlen! - Gläubiger und Buchmacher ruhig zu stellen und mir zu überlegen, was ich mit Philippe machen sollte, ist mir völlig entgangen, was mit Nicholas los war.« Sie musterte Lysette streng. »Er gehört zu denen, die sich verkriechen, wenn sie verletzt werden. Es war genau wie damals mit Adrienne, der Teufel möge sie holen.« Sie trank einen großen Schluck Tee, als müsste sie einen bitteren Geschmack hinunterspülen. »Mir wäre es nicht aufgefallen. Im Oktober ist die Hauptzeit der Weinlese, da bekomme ich meinen Neffen ohnehin nicht zu Gesicht. Aber Charlot hat sich bei mir gemeldet und angedeutet, dass etwas mit Nicholas ganz und gar im Argen liegt.«
Sie stellte die Tasse mit einem harten Klirren ab. »Ich habe seine Warnung ignoriert, weil ich Charlot nicht sonderlich ernst genommen habe - mein Fehler.
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