Dorfpunks (German Edition)
Tanzfläche, wo sie sich zu einem Pulk formieren mussten, der in Callys Richtung schaute. Honk hatte sicherheitshalber seine Flasche Flens in der Hand behalten, das Ganze sollte ja auch Spaß machen. Cally ließ das Licht runterdimmen, und als der Saal relativ dunkel war, legte Pinki den Bolero von Ravel auf. Cally fing an, mit ruhiger Stimme auf die Leute einzureden, das übliche Hypnosegerede, von wegen: «Ihr werdet ganz müde, wenn ich rückwärts von zehn auf null gezählt habe, schlaft ihr tief und fest ein …» Gesagt, getan, bei null schliefen alle Kandidaten tatsächlich ein. Die Assistentin ging herum und legte jeden Einzelnen rücklings auf den Boden. Der Letzte, den sie hinlegte, war Honk. Während sie ihn herabließ, sah ich, wie er blinzelte. Der Hypnotiseur fing nun an, auf seine Opfer einzureden und ihnen Befehle zu geben. Er erzählte ihnen, dass sie Hunde seien und er ihr Herrchen. Sofort richteten sich alle auf, ließen ihre Zunge raushängen und wedelten mit imaginären Schwänzen. Honk richtete sich zwar auch aus seiner Rückenlage auf, schien dann aber in seiner Halbtrance auf eine bessere Idee zu kommen, denn ich sah, wie er mit der einen Hand in seiner Tasche suchte, die Flasche fand, sie an den Mund setzte und nun vollends erwachte. Das Bier holte ihn aus der Trance zurück! Er stand auf, schaute verächtlich auf die begeisterten, sabbernden Hunde um sich herum und verließ die Tanzfläche. Cally kümmerte sich nicht weiter um ihn; er ließ seine Gruppe Zitronen essen und behauptete, es seien saftige Orangen, er ließ sie mit Stühlen tanzen, von denen er sagte, sie seien die angebeteten Liebespartner der Tanzenden. Ich sah Leute in enger Umschlingung mit Stuhlbeinen Zungenschlag machen. Schließlich befahl er einem Klassenkameraden von mir, die Zahl Sechs zu vergessen. Dann weckte er ihn mit einem Fingerschnips auf. Der jäh Erweckte stand verwirrt inmitten des Raumes und wusste nicht recht, wie ihm geschah. Cally bat ihn, einmal seine Finger durchzuzählen. Er tat wie ihm geheißen und zählte. Von eins bis fünf ging es noch relativ flüssig, die Sechs fehlte, und von da an wurde sein Weiterzählen von immer größeren grüblerischen Pausen unterbrochen, bis er mit tonloser Stimme bei elf angekommen war. In seinen Augen stand blankes Entsetzen. «Hattest du denn schon immer elf Finger?», fragte der Hypnotiseur scheinheilig, schnipste einmal, und sofort war der Bezauberte wieder eingeschlafen. Cally gab ihm die Sechs wieder.
Eine andere Schulfreundin legte er mit dem Kopf auf einen Stuhl und mit den Füßen auf einen anderen, ihre Mitte hing wie ein Brett in der Luft. Respektvoll beobachteten wir ihre Muskelleistung und fragten uns, wann sie wohl zusammenklappen würde. Cally allerdings zog seine Schuhe aus und platzierte seine mindestens hundert Kilo Körpergewicht auf ihren Bauch, genau in der Mitte zwischen beiden Stühlen. Wir waren baff. Wie ging das denn? Ein Fake war doch nicht möglich, oder? Schließlich weckte Cally auch sie aus der Hypnose auf, und sie verließ augenreibend, aber bester Gesundheit das Rampenlicht. Tosender Applaus beendete die Show, und alle Anwesenden bestürmten sofort ihre verzauberten Freunde, um sie zu fragen, wie es denn gewesen war. Keiner konnte etwas berichten, sie hatten alles vergessen und hörten sich ungläubig an, was sie vor uns aufgeführt haben sollten. Später stand Cally mit Pinki und Horst Günther rauchend am Tresen. Das war ein Trio der Macht, der Herrscher des Discoplaneten, der Fürst der Musik und ihr dunkler Magier. Wir standen um sie herum, aber sie würdigten das Fußvolk keines Blickes. Jeder schwächliche Versuch einer Kontaktaufnahme wurde von Cally verächtlich ignoriert. Wenn wir nur an sein Geheimnis kämen, alles würde sich verändern, unser Dorf, die Welt. In unseren Händen wäre es besser aufgehoben als in seinen. Er zockelte damit durch Discotheken und bezauberte Prolls für ein paar Mark, er war ein magischer Teppichvertreter, für Style hatte der keinen Sinn. Aber wenn wir wüssten, wie das funktioniert, würden wir die Schule abschaffen, den Kapitalismus und den Staat. Das waren Visionen. Staat durch Hypnose abgeschafft!
Schweine würden zu Freunden werden, Langweiler zu Aktionisten, Hässliche zu Angebeteten, Schöne zu Handwerkern, ein Karussell der Hierarchien. Alle wären gefangen unter der Glocke der Verblendung. Aber zu ihrem Vorteil. Dachten wir.
Sexualität ist eher unangenehm
Von Anfang an waren wir eine
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