Dorfpunks (German Edition)
gemischte Gruppe. Es gab in etwa genauso viele Jungs wie Mädchen, wenn auch die meisten Mädchen äußerlich doch ziemlich im Rahmen des Normalen blieben oder sich wavig gaben. Einzig Bea, Ita und Fee sprengten das strenge weibliche Schönheitsdiktat komplett auf und schissen auf die Formen. Das hing auch damit zusammen, dass wir Typen uneingestandenermaßen gar nicht dazu bereit waren, die herkömmlichen Vorstellungen von weiblicher Schönheit vollständig aufzugeben. Wir waren eben doch schon sehr weit geprägt von dem Idealbild, wie es etwa die Delial-Werbung vermittelte. Schwarze lange Locken, braune schwitzende Frauenhaut unter gelbem Bikini.
Wir mochten Punketten, sie waren unsere Freundinnen, aber heimlich standen wir auch auf Poppermädchen mit langen Haaren, fessellangen Leinenhosen und beigen Pullis mit V-Ausschnitt. Obwohl wir selber dreckige, verstunkene, wilde Typen waren, reizte uns die Vorstellung gepflegter Sauberkeit. Wir wollten am liebsten zu den reichen Schnöseln in ihre sauberen Wohnungen und ihnen ihre duftenden Töchter wegnehmen. Wir waren in unseren Geschlechterrollen nicht halb so frei, wie wir dachten.
Ich wusch mich selten, duschte vielleicht einmal in der Woche, putzte mir ungern die Zähne und trug so viel Kunstfaser am Leib, dass ich nur noch transpirierte. Piekmeier genauso. Florian musste sich duschen, weil er seit 1981 eine Lehre als Versicherungskaufmann machte. Nur seiner Mutter zuliebe, wie er beteuerte. Wir zogen ihn gerne damit auf, dass er jetzt ein «Part-Time Punk» sei, wie es in dem Song von TV Personalities so schön heißt. Es gab einige solche Feierabend-Punks bei uns, der Druck von außen war stark. Einmal kam Dietrich ins Haus der Jugend und sah aus wie einer von der Jungen Union. Wir waren irritiert. Im Fernsehraum zog er seine saubere Jeans und das weiße T-Shirt aus, darunter kamen saucoole, stinkende Fetzen zum Vorschein. Als er nach Hause ging, kam der ordentliche Fummel wieder drüber.
Liebesverbindungen gab es bei uns in der Gang wenige. Wir Typen waren ziemlich asexuell und taten immer so, als wenn Sex das Widerlichste wäre, ungefähr so schlimm wie Schwulsein für Rapper. Wir taten, als wären wir unberührbar und könnten uns Sex, wenn überhaupt, nur ohne Gefühle, ohne Zärtlichkeit vorstellen. Wir wollten ja definitiv das Gegenteil von sentimentalen, weichen Hippies sein. Das machte uns einsam. Und seitdem ich mich immer weiter von meiner Familie abwendete, kannte ich es auch gar nicht anders. Diese Kälte war für mich normal, aber manchmal fühlte ich ein dunkles Loch in mir, so tief, dass ich nicht bis zum Grund vordringen konnte. Mir war das Zusammensein mit einem Mädchen nicht so wichtig wie das Zusammensein in der Gruppe. Die Gruppe war immer da, irgendjemand hatte immer Zeit, die Gruppe bot immer etwas Neues, Spannendes, Wildes. Alle, die Beziehungen anfingen, sah ich als verloren an. Verloren an die Liebe, an die Langeweile, die Ruhe, die Gemütlichkeit, das Vergessen, das Erwachsensein, die Spießigkeit und den Tod. Wenn ich oft genug hinter einem dieser an die Liebe Verlorenen hertelefoniert hatte, gab ich es irgendwann auf. Wie konnten sie nur alle für eine hergeben? Wir wollten doch anders leben als alle anderen.
Meine eigenen sexuellen Berührungen waren punktuell und kamen nur unter Zuhilfenahme von Alkohol zustande. Ansonsten hätte ich mir dieses unerträgliche Ausmaß an Nähe nie angetan. Die Ersatzfamilie war auch deshalb gut, weil man jederzeit gehen konnte, es waren immer genug für alle da.
Natürlich blieb ich trotzdem anfällig für Versuchungen. Simone Lamp wollte mich auf einer Party mit ihrer Freundin Evelyn verkuppeln. Wir feierten zu sechst bei ihr zu Hause in ihrem Zimmer, und es war unter den Mädchen schon fest verabredet, dass Evelyn und ich miteinander Sex haben sollten. Ich war eingeweiht, gefragt hatte mich keiner. Alleine dieses Gemauschel vorher war schon so unglaublich aufregend. Wir hatten uns noch nie geküsst, kannten uns kaum, guckten uns schüchtern an und wussten doch, gleich würden wir nach nebenan gehen, und dann würde es passieren. Also unterhielten wir uns über alles Mögliche, nur nicht über Liebe, Zärtlichkeit oder Sex. Schließlich stand Evelyn auf und ging ins Gästezimmer. Das war das Zeichen. Ein paar Minuten später verließ ich unter einem Vorwand das Zimmer und ging hinterher. Ich hatte wahnsinnigen Schiss. Wie sollte ich das denn anfangen? Ich konnte doch nicht einfach in das Zimmer
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