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Dorfpunks (German Edition)

Dorfpunks (German Edition)

Titel: Dorfpunks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
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Das ging so, dass derjenige, der als Erster die Idee hatte, heimlich zur Telefonzelle ging und den verplombten Nothebel umlegte, um die Polizei zu rufen, weil auf dem Marktplatz angeblich Punker randalierten. Dann versteckte sich der Denunziant, wartete auf die Bullen und konnte genüsslich zusehen, wie alle anderen flüchten mussten und durch die ganze Stadt gejagt wurden, wenn die Kleinstadtpolizisten mit Vollgas und Tatütata auf den Markt gefahren kamen. Ein Mordsspaß.
    Einmal wurde nachts auf dem Friedhof randaliert. Irgendjemand hatte mehrere Grabsteine umgetreten und Gräber zertrampelt. Sofort ging in der Stadt die Mär um, wir seien die Täter, und in Schmalenstedt formierte sich so etwas wie eine Bürgerwehr. Sie fingen alle Kurzhaarigen ab, deren sie habhaft werden konnten, bevorzugt allein, und verprügelten sie. Einer nach dem anderen war dran. Dietrich, Sid, Piekmeier …
    Ich stand beim Stadtfest auf dem Marktplatz, als zwei gigantische Hände von hinten meine Schultern packten und mich umdrehten. Ich musste hochschauen, um zu erkennen, dass es Klodeckel war, der da vor mir stand. Klodeckel war eine Art Nazi-Bigfoot, ein stumpfer Riese mit Ion-Tiriac-Bart, nicht schnell, aber brutal, und er hatte mich erwischt. Wie ein Schraubstock hielten seine Hände meinen Kopf nach unten, während sein rechtes Knie einer Dampframme in Zeitlupe gleich in mein Gesicht krachte, bis mir das Blut aus der Nase floss. Das mochte er gerne. Irgendwann schmiss er mich wie einen alten Teddy zur Seite. Ich schwor, für die Rache abzuwarten, bis er alt und hilflos war. Jetzt wäre es eigentlich so weit.
    Ein anderes Mal kam ich nachts mit Sonny und Bea von Meier’s zurück. Die beiden waren seit einiger Zeit zusammen und so was wie ein Punk-Traumpaar. Bea war wirklich das widerspenstigste Mädchen im Umkreis von dreißig Kilometern, sehr lustig und voller guter Einfälle. Sie war die Tochter eines Schmalenstedter Versicherungsdirektors, aber das sah man ihr nicht an, mit ihren kaputten Strumpfhosen, Nieten überall und blonden Haaren samt lang ins Gesicht hängenden Strähnen. Sonny war sowieso Musterpunk. Er und sein Bruder Jochen sahen immer aus wie Sid Vicious als Zwillingspaar, schwarze Jeans, Lederjacke, Haare stachelig, Moped unterm Arsch. Wir standen vor der Kreissparkasse, es war circa zwei Uhr nachts, und redeten, rauchten noch eine Runde Selbstgedrehte, da hielt auf einmal ein paar Meter von uns entfernt ein kleiner BMW mitten auf der Straße. Zwei Typen stiegen aus. Der eine war etwas kleiner als sein Mitfahrer, stämmig und mit Vollbart. Wir gingen zu ihnen hin und fragten, was los sei. Irgendwie kamen wir mit ihnen ins Gespräch, aber auf einmal holte der Bärtige aus und gab mir eine Kopfnuss, dass mir sofort die Nase aufplatzte. Ich trug damals an beiden Armen breite Lederarmbänder und unter dem linken zur Selbstverteidigung immer ein langes Steakmesser. In meiner Wut riss ich es aus dem Ärmel, ging auf den Typen los und brüllte, dass ich ihn jetzt abstechen würde und solche Sachen. Minutenlang rannte er schreiend um das Auto und ich immer hinterher. Der andere Vogel stand derweil völlig perplex daneben. Dann kam zum Glück die Polizei, um dieser Posse ein Ende zu bereiten, wir waren schon völlig außer Atem. Sie nahmen die beiden fest, irgendwas hatten die ausgefressen, und uns zwangen sie unter Androhung von Jugendklapse auf den Heimweg. Diesen Kampf konnten wir halbwegs als gewonnen ansehen.
     
    Vom Markt aus führt eine kleine Straße zum Gleisplatz, einer unwichtigen Ecke in der unteren Stadt. Über diese Strecke kam ich in einer anderen Nacht zu Fuß von Meier’s zurück. Kurz vor dem Marktplatz hielten mich drei Typen an, breite, stämmige Bauernschläger und dazu total besoffen. Wo hier noch was los sei, wollten sie wissen. Ich versuchte, sie ins Top Ten zu schicken und loszuwerden, ohne dass ihnen auffiel, dass ich Punk war.
    Leider hatten sie es da schon versucht, und es war zu. Anlass genug, sofort wieder das alte Nasenspiel zu beginnen. (Erst jetzt beim Schreiben fällt mir auf, wie oft ich auf die Nase bekommen habe. Das muss etwas mit zerstörerischem Neid zu tun gehabt haben.) Der Kleinste und Stärkste von ihnen griff mich an der Gurgel und gab mir eine Kopfnuss. Mir fiel ein, dass ich eine 8-Millimeter-Gaspistole dabeihatte. Flo hatte sie mir besorgt, da ich zu dem Zeitpunkt noch nicht volljährig war. Ich zog sie und richtete sie auf die drei, während ich einen Meter zurücksprang.

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