Dorfpunks (German Edition)
wirklich schön singen konnte. Für die Rotärsche war er ein gefundenes Fressen.
Erster wurden, glaube ich, irgendwelche Schönberger Epicrocker, totaler Schrott eben.
Beim Rausgehen mussten wir stark darauf achten, nicht noch was vor die Kauleiste zu bekommen. Die Rotärsche hatten das Gefühl, ihr Revier verteidigen zu müssen. Sie waren wie ein großes Rudel dummer Köter, und ich hasste sie für ihre opportune Stumpfheit, ihre Seele hatten die sowieso am Kasernentor abgegeben.
Wir legten erst mal eine Probenpause ein.
Gewalt ist unser Geld, und wir wollen gerne zahlen
Die meisten kriegerischen Auseinandersetzungen außerhalb von Meier’s gab es auf dem Marktplatz.
In Ermangelung ernsthafter Freizeitangebote an die Schmalenstedter Jugend hielten wir uns die meiste Zeit dort auf.
Es gab ja nur das öde Haus der Jugend mit seinem Kicker und dem Fernsehraum, und selbst da tauschte die Stadtverwaltung unseren Jugendschimanski Schorsch Lebewohl gegen einen Vereinswart aus, der zwar nett war, aber besser in einen Kleingartenverein gepasst hätte.
Also hingen wir am Marktplatz oder am Stadtteich rum. Wir waren die Eiterbeulen im Gesicht der alten Dame Schmalenstedt. Eine Schande.
Auf dem Weg zum Markt schrie mir einmal irgend so ein Spießer über den Gartenzaun zu, mich hätte man ja wohl bei Hitler vergessen zu vergasen. Das brachte mich auf die Idee, die Asche von Hitler auf dem Schmalenstedter Flohmarkt zu verkaufen. Ich besorgte mir ein paar weißglasige alte Weinflaschen, füllte etwas Asche hinein und klebte Etiketten drauf: Elvis, Stalin, Kohl, Sid Vicious, Hitler. Auf einen leeren Benzinkanister schrieb ich «Jesus». Ich wollte pro Flasche zwei Mark fünfzig, für den Kanister fünf Mark. Leider blieb ich auf allem sitzen, dafür sagte man mir, dass ich selber auch bald in so eine Flasche kommen würde. Ich ließ die Flaschen als Schenkung an die Stadt und die Öffentlichkeit stehen.
Der Schmalenstedter Marktplatz ist so groß wie ein Fußballplatz. Damals war er geteert, hatte in der Mitte Parkplätze und außen herum eine Straße, um die Parkplätze zu erreichen. Dahinter standen die Geschäftshäuser, alles schön pittoresk und aufgeräumt. Auf der Straße um die Parkplätze drehten die Opel-Prolls kontinuierlich ihre Runden.
Wir verbrachten Tage und Wochen in einer Art Kleinkrieg mit dem örtlichen Sportbekleidungsverkäufer Ehlers, dessen Geschäft an der Paradeseite des Marktplatzes lag. Die Schaufenster hatten breite, niedrige Fensterbänke, die sich hervorragend zum Draufrumfläzen eigneten. So konnten immer einige von uns sitzen, die anderen hingen auf dem Boden rum. Das war unser Lieblingsplatz. Natürlich traute sich kein Kunde mehr, einen Blick in die Auslagen zu werfen, wir waren hässlich, laut und penetrant.
Mittags, wenn die Schule vorbei war, trudelten wir peu à peu ein. Manchmal waren es bis zu zwanzig Leute, die dort rumhingen, meistens aber eher so zwischen drei und zehn. Je überschaubarer die Lage war, desto öfter kam Ehlers raus, um uns zu vertreiben. Am Anfang versuchte er es noch im Guten und bat uns mehrfach zu gehen. Hätten wir wahrscheinlich auch getan, wenn es eine wirkliche Alternative gegeben hätte. Die gab es aber nicht. Und wir waren auch zu stolz, um uns vertreiben zu lassen. Keiner von uns trug Markenklamotten, auch keine gekauften Punkaccessoires, bis auf Nieten, zumindest zu diesem frühen Zeitpunkt nicht. Alles war secondhand und selbst genäht beziehungsweise gedrahtet oder getackert.
Also saßen wir die Sache aus. Und Ehlers’ Kampf wurde über die Monate immer verzweifelter. Irgendwann fing er an zu schreien. Da hatte er sich aber die Richtigen ausgesucht, Schreien fanden wir auch gut. Er geriet mit Piekmeier aneinander. Piekmeier war groß, stark und wild, ein echtes Waldbiest. Sie schrien sich an, dann wurden sie handgreiflich und nahmen sich gegenseitig in den Würgegriff, bis Ehlers nach einiger Zeit keuchend verschwand. Schließlich kam er mit einem Eimer Wasser wieder. Er kippte ihn auf uns, wir sprangen kreischend vor Freude zur Seite und johlten vor Begeisterung. Je mehr Ehlers gegen uns unternahm, desto mehr Spaß hatten wir. Er rief die Polizei, aber die konnten auch nichts gegen uns ausrichten. Wenn sie kamen, standen wir einfach auf und gingen weg. Wenn sie fuhren, setzten wir uns wieder hin. Ist schließlich kein Verbrechen.
Sonntags war Ehlers nicht da. Dann wurde uns oft schnell langweilig. Eine Zeit lang spielten wir «Bullen rufen».
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