Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dorfpunks (German Edition)

Dorfpunks (German Edition)

Titel: Dorfpunks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
Vom Netzwerk:
ein Loch in den Gips, durch das ich einen Bleistift steckte. So konnte ich ungelenke Zeichnungen anfertigen. Ich machte die ganze Zeit auf sensibler Künstler, mit über die Schulter geworfenem Schal und so. Sie beobachteten mich, wie ich da alleine an meinem Tisch saß, ich würde sagen: der süßeste Typ im Raum, und unterhielten sich ganz offensichtlich über mich. Irgendwann kam eine von ihnen herüber und fragte, was ich denn da die ganze Zeit so zeichnen würde. Totenköpfe. Ich zeichnete ständig Totenköpfe, von allen Seiten und in allen Größen. Leicht irritiert hockte sie sich zu mir, und wir fingen an, uns zu unterhalten.
    Von jetzt an setzten sich immer einige von ihnen an meinen Tisch. Es waren wirklich hübsche Mädchen, intelligent, gebildet, gut angezogen, jung, offen und neugierig. Ich träumte davon, wie es wäre, wenn sie mit mir in die Werkstatt kämen und unter der Qual der Hitze schließlich anfangen müssten, ihre Kleidung abzulegen, ihre Spitzenhemden und weißen Röcke, ihre Collegehosen und Lacoste-Pullunder, ihre Lederstiefel und Halstücher. Dann würden sie ihre wunderbaren, gepflegten langen Haare öffnen, die sie stets zu Zöpfen gebunden hatten. Ich würde gleichziehen, meine Latzhose und mein Karohemd abwerfen, und schließlich wären wir nackt. Ich würde sie mit feuchtem Ton einschmieren, erst vorsichtig, spielerisch, dann am ganzen Körper. Dann würden sie mich einreiben, bis wir von Kopf bis Fuß braun, nass und gleitend wären. Wir würden gemeinsam auf dem Fußboden verschmelzen zu einer Statue ekstatischer Körperlichkeit, bis schließlich meine Chefin käme, um uns in den Ofen zu schieben und zu backen. Pompejanischer Sex. Eine Skulptur der Lust.
    Tatsächlich beschlossen einige von ihnen eines Tages, mit mir zu kommen. Ich führte sie stolz in meine versteckt gelegenen Produktionshallen und weihte sie ein in die Geheimnisse der Töpferei. Sie wollten unterhalten werden, und ich unterhielt sie, stundenlang und bei immer neuem Kaffee. Ich redete ununterbrochen, und sie lachten die ganze Zeit. Wenn ich mal aufhörte zu reden, setzte eine schmerzhafte Stille ein, die mir bewies, dass ich etwas falsch machte. Aber anstatt zu warten und zur Abwechslung einmal ihnen zuzuhören, redete ich schnell weiter, um das peinliche Loch zu füllen. Eine sexuelle Atmosphäre konnte so nie entstehen, dafür war ich zu sehr Ausstellungsstück. Also gingen sie am Ende ihrer Mittagsstunde wieder, und ich blieb mit meinen uneingelösten Phantasien alleine. Sie kamen noch ein paar Mal und ließen es dann sein. Sie wollten lieber wieder ins Amore gehen, als ständig bei mir in meinem Backofen zu sitzen. Ich hatte dafür Verständnis.

Die ganze Welt ist eine Attrappe
    Manchmal umgab mich die Einsamkeit meiner Zelle wie der leere Raum, es war, als wenn es nichts mehr geben würde außer diesem Nichts. Wenn das Wetter schlecht war und keiner sich hinter die Kirche verirrte, tagelang. Tagelang ohne Kommunikation, ohne Worte, tagsüber war niemand zum Reden da, und abends, wenn Mutter versuchte, sich mit mir zu unterhalten, verweigerte ich es. Fünf Tage Schweigen. Worte fanden nur in mir statt. Oder in Büchern, die ich las. In Sätzen, die ich schrieb.
    Ich fühlte mich als isolierter, frei beweglicher Körper, der sich über die Erdoberfläche bewegen durfte. Als von der Erde losgelöster, beweglicher Mineralienklumpen auf zufälligem Kurs. Das war alles. War da noch etwas? Oder war ich Teil eines Experimentes?
    Sie hatten mich aus Biomasse geformt, mich durchdacht und konstruiert. Diese Stadt, in der ich arbeitete, und die, in der ich lebte, all das war nur Kulisse. Die Orte, von denen ich gelesen hatte, aber an denen ich noch nicht gewesen war: Es gab sie nicht. Wenn ich mich entschloss, einen neuen Ort zu besuchen, mussten sie in hektischer Betriebsamkeit alles aufbauen. Noch bevor ich dort ankam, musste alles so aussehen, als ob es schon immer dort gewesen wäre.
    Es gab keine Menschen, alle anderen waren nur Roboter, geschaffen, um mich zu täuschen. Wenn ich um eine Hausecke bog, blieben hinter mir zehn Sekunden später alle Autos, Menschen, beweglichen Gegenstände stehen, wo sie waren. Um Strom zu sparen. Die zehn Sekunden für den Fall, dass ich nochmal zurückgehen und um die Ecke gucken würde. Sie waren schlau. Aber ich ahnte etwas. Ahnten sie mein Ahnen? Warum hatten sie mich erschaffen? Zu ihrer Freude. Und um zu sehen, ob so etwas Groteskes wie ich überhaupt überlebensfähig war, ob

Weitere Kostenlose Bücher