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Dorfpunks (German Edition)

Dorfpunks (German Edition)

Titel: Dorfpunks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
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Zeiger verriet mir, dass ich bald aufbrechen musste, zur Lehre. Auf dem Rückweg kamen wir an der Bushaltestelle der Sonderschule vorbei. Ein hässlicher, großer, fetter Junge bewegte sich auf sie zu, er sah brutal aus, und ich wusste, dass ich in Zukunft nichts Gutes von ihm zu erwarten hatte. Mit einem bösen Blick schaute er zu uns rüber, und in dem Moment fror die Zeit ein. Immer wieder, wie in einer Endlosschleife, machte er den gleichen Schritt auf den Bus zu und beobachtete mich mit offenem Mund und verfaulten Zähnen. Ich geriet in Panik. Jetzt bist du hängen geblieben, dachte ich. Aber nach ein paar Sekunden verschwand der Bus mit dem bösen Kind, und wir gingen weiter. Zu Hause packte ich in aller Eile meine Sachen, um nicht mit meiner Mutter sprechen zu müssen, und ging mit Eisenkopf zur Bushaltestelle. Er hatte beschlossen, mit zur Töpferei zu kommen, wir wollten den Trip gemeinsam ausklingen lassen. Während der Busfahrt, unter all den normalen, ausgeschlafenen, gewaschenen Jugendlichen, bekam ich mörderische Platzangst. Mein Hals trocknete aus, wir hatten nichts zu trinken dabei und schwitzten wie die Schinken. Meine ganze Coolheit wich in diesem engen Bus von mir und verwandelte sich ins Gegenteil. Wir waren Antikörper, jeder von ihnen konnte es sehen und riechen, und ich konnte durch die glatten Eihäute ihrer Normalität ihre Angst und Abscheu vor uns spüren. In Stelling sprang ich panisch aus dem Bus. Auf dem Fußweg zur Töpferei beruhigte ich mich aber wieder. Der Morgen war warm und strahlend hell, und bald ging es mir besser. In der Töpferei glühte der Ofen, es war sagenhaft heiß. Der drogensatte Schweiß rann uns in Strömen vom Leib, also zogen wir unsere Hemden aus. Wir sahen wild und verwahrlost aus. Nach kurzer Zeit kam die Chefin rein. Sie schaute uns verdutzt an. Wer war denn der andere, warum waren wir halb nackt, stanken und sahen aus, als wenn wir aus dem Stollen kämen? Ich konnte ihr die Fragen, die sie nicht stellte, nicht beantworten, zu sehr war ich mit dem Beobachten der kleinen Achten beschäftigt, die um ihre Nase und ihre Augen schwammen. Die letzten Halluzinationen versickerten in ihrem Gesicht. Schließlich ging sie und ließ uns in unserer Schweißhöhle alleine. Ich schloss die Werkstatt von innen ab, wir legten uns schlafen. Es sollte das letzte Mal sein, dass ich eine Mikropille genommen habe.

Noch mehr Ton: Mehrton
    Die meiste Zeit zu Hause brachte ich damit zu, in meinem Zimmer Musik zu hören, Musik zu machen, über Musik zu lesen oder zu schreiben. Musik war der Schlüssel zu meiner Welt. Ich las Sounds und Spex und die Fanzines, die man bei uns bekommen konnte. Oder Bücher aus der Bücherei. Zum Beispiel «Der große Schwindel?» mit lauter Interviews mit Leuten wie Alfred Hilsberg, Klaus Maeck oder einem gewissen Campino von ZK, der als der Max Merkel des Punk beschrieben wurde. Ich beneidete sie alle um ihren Glam, um ihre Möglichkeiten, an der großen Action teilzunehmen, weil sie nicht in einer Kreisstadt hinter einer rotierenden Scheibe Matsch zu Röhren formen mussten.
    In meinem Zimmer verwoben sich die unterschiedlichsten Einflüsse zu einem kruden Teppich. Mir gefielen Trio, ihre Idee von Minimalismus, und ich besorgte mir das kleine Casio-Keyboard, das sie für den Sound von DaDaDa benutzten. Jetzt konnte ich überall Musik machen, mir jederzeit Ideen merken, ich schleppte das Ding wie ein musikalisches Diktaphon mit mir herum.
    Ich liebte Buzzcocks für ihre grandiosen Melodien und hörte mir «Everbody’s Happy Nowadays» so oft an, bis ich die Akkorde raushatte und begriff, wie Pete Shelley komponierte. Das Geheimnis hieß Dur/Moll-Wechsel bei gleichbleibender Tonart.
    Aber ich stand auch auf Prince. Erst wehrte ich mich dagegen, so einen Mainstream-Hype mitzumachen, aber nachdem ich im Fernsehen eine Liveshow von ihm gesehen hatte, konnte ich mich gegen die Kraft, die von ihm ausging, nicht wehren. Ich hatte eine billige nachgebaute Stratocaster-E-Gitarre und zersägte sie, damit sie so extravagant aussah wie das Schnörkelteil von Prince. Am Ende glich sie eher einem Kindermaschinengewehr aus Holz, aus dem verstimmte Töne kamen. Ich malte sie weiß an und klebte ein Peacezeichen drauf. Die Töne leitete ich via Kabel zu meiner alten Stereoanlage. Da ich genauso spielte, wie die Gitarre klang, passten wir hervorragend zusammen. Um aus meiner Schwäche eine Tugend zu machen, kultivierte ich den Trashsound und tat so, als wäre er

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