Dorfpunks (German Edition)
wählte. Ein Rufton in der Muschel und unglaubliche Spannung. Wenn ich Glück hatte, würde ich sie gleich hören, die große Stimme. Der Hörer wurde abgenommen.
H: Hilsberg, hallo?
Ich schluckte, mein Mund war trocken.
Ich: Hallo …
H: Wer ist denn da?
Ich: Hallo … äh …
H: Was soll denn das?
Ich: … äh, ich heiße Roddy Dangerblood und wollte wissen, ob ihr schon mal was in Kiel gemacht habt?
H: Was? Wer ist da? Rolly was?
Ich (selbstbewusster): Roddy Dangerblood bin ich. Ich wollte wissen, ob eure Leute schon mal in Kiel aufgetreten sind?
H: Weiß ich jetzt nicht. Was soll das denn?
Ich: Na, ich wohn in der Nähe von Kiel und habe gute Kontakte zur Pumpe (das war ein großes Veranstaltungszentrum, zu dem ich überhaupt keine Kontakte hatte).
H: Was meinst du damit: da mal was machen?
Ich: Na, ihr bringt eure Bands, z. B. Beauty Contest und Kastrierte Philosophen, und ich bringe unsere, wir haben hier mehrere sehr geile Bands, die heißen die Amigos und die Möpse und so. Was hältst du davon?
H (nicht mehr ganz genervt, aber skeptisch): Ja, zu was für Konditionen denn, was gibt’s an Gage? Auf Prozente oder auf fest, und wie läuft das alles bei euch?
Ich: … Hä … was?
H: Die Gagen … wie sehen die Verträge aus?
Ich: Ach so … na, das machen wir dann, erst mal wollte ich wissen, ob ihr überhaupt Interesse habt.
H: Kommt drauf an, da musst du schon noch konkreter werden.
Ich: Okay, ich ruf dich wieder an, wenn ich Fakten habe, okay?
H: Gut, bis dann.
Wooooooow, unglaublich, unglaublich, ich hatte mit Alfred Hilsberg gesprochen, er hatte mir zugehört, mich nicht abgewimmelt, Mannomann. Ich erzählte es allen meinen Freunden, aber den meisten war es eher egal. Sie waren nicht so manisch in ihrem Interesse für Musik wie ich. Ein paar Tage später rief ich wieder an. Ich hatte das Glück, Hilsberg in Wodkalaune zu erwischen, denn er mochte Alkohol gerne leiden, und so war er von vornherein lockerer und gesprächiger. Es entwickelte sich eine richtige Unterhaltung. Wir redeten über Musik und vor allem übers Trinken. Er brachte mir Interesse entgegen, ich war glücklich. Schließlich meinte er, wir könnten uns doch mal treffen, er würde in einigen Tagen in Harburg zu einem Konzert von Eugene Chadbourne im Suba-Center gehen, ob ich da nicht mal vorbeischauen wolle, um mich mit ihm ernsthaft über das Konzert in Kiel zu unterhalten. Jetzt wollte er mich also auch noch treffen. Ich konnte es alles kaum glauben.
Zu dem besagten Tag überredete ich Jochen Sommer, den ersten Punk, den ich je kennen gelernt hatte, mit mir nach Harburg zu fahren. Eugene Chadbournes Band hieß Shockabilly, und da Jochen an Ted-Musik interessiert war und Shockabilly nach Billy klang, willigte er ein. Nach ewigem Suchen in Harburg fanden wir schließlich den besagten Laden. Das Konzert entpuppte sich als gut besuchtes Kunst-Konzert, Chadbourne spielte auf Grasforken und Hühnerkäfigen, und Jochen war total genervt. Ich hatte mich stadtfein gemacht, indem ich schwere schwarze Lederstiefel trug, einen zerrissenen, schwarzen langen Pelzmantel, den ich mit einem gigantischen Feuerwehrledergurt gegürtet hatte, und einen zerbeulten, kaputten Stoffzylinder, unter dem meine zerzausten Haare in Strünken herausragten. Das Gesicht hatte ich mir mit Kohlenstaub eingerieben, sodass meine Augenhöhlen wie dunkle Löcher aussahen. Ich fiel stark aus der Reihe, sah aus wie eine Mischung aus Schornsteinfeger und psychopathischem Waldräuber. Die Szenisten beobachteten mich argwöhnisch, hier stand man eher auf Haircut 100. Ich fragte an der Kasse nach Hilsberg, und der Kassierer wies auf einen etwas älteren beleibten Herrn in Schwarz, der sich mit anderen unterhielt. Unsicher und ängstlich steuerte ich auf ihn zu und stellte mich vor ihm auf. Ich wusste nicht, was ich ihm präsentieren sollte, ich hatte ja nichts, er hatte alles. Ich wollte Kontakt zu ihm, dann würde das andere schon von selbst passieren. Er musterte mich erschrocken.
Ich: Hallo, ich bin Roddy Dangerblood.
H: Wer?
Ich: Roddy Dangerblood aus der Nähe von Kiel, das Pumpe-Festival …
H: Ach so, ah ja … ähem …
Ich: Ja, schön, dass wir uns treffen, wo wollen wir uns denn mal hinsetzen zum Reden?
H: Ja also, jetzt ist es gerade nicht so gut. Vielleicht können wir ja später nochmal reden, okay?
Ich: Ach so, schade, na ja, okay … reden wir später.
Natürlich sah ich ihn nicht wieder, er ließ sich von
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