Dorfpunks (German Edition)
beabsichtigt. Ich fühlte mich nick-cavig. Nick-cavig zu sein war cool. Die Zeit der Bandproben war vorbei, wir fanden nicht mehr zusammen, und die Amigos existierten nur sporadisch, da wir so gut wie nie probten. Es gehört aber zum Musizieren dazu, Musik zu machen. Ich wollte so gerne Musik machen, ich hätte ein Königreich für eine Mehrspurmaschine gegeben. Mein Gott, nur vier Spuren, und meine Welt wäre eine andere, nur vier Spuren! Aber für Kids wie mich war eine derartige Maschine unerschwinglich.
Schließlich beschloss ich, mir von meinem kärglichen Gehalt zwei billige Sharp-Kassetten-Decks zu holen und sie zu koppeln. Die Idee war denkbar einfach: Ich wollte auf die einzelnen Kanäle des Tapes aufnehmen, also eine Spur links, die zweite rechts. Diese wollte ich dann gemeinsam auf die linke Spur des zweiten Tapes überspielen, so hätte ich mit der rechten des zweiten Tapes eine dritte Spur frei gehabt. Nachdem ich diese bespielt hätte, hätte ich diese drei dann zurück auf die linke des ersten Tapes überspielt und auf der rechten eine vierte aufgenommen. Und so weiter und so fort. Auf diese Weise, so errechnete ich mir, müsste ich auf mindestens vierundzwanzig Spuren kommen: paradiesische Zustände.
Ich brauchte lange, bis ich zu Hause alles so verkabelt und arrangiert hatte, wie es sein sollte, und voller Freude ging ich an die Arbeit. Unglaublicherweise funktionierte meine Methode. Zwar verloren die Überspielungen sehr schnell an Qualität, aber ich kam auf immerhin vier bis fünf rauschende Spuren. Das war schon mal ein immenser Erfolg für mich. Drei Tage verbrachte ich vor meinem Gerät und experimentierte. Dann endete meine Versuchskette. Es ging auf einmal nicht mehr, ich wusste nicht, warum. Ich probierte alles aus, überprüfte die Kabel, stöpselte die Stecker um, nahm neue Tapes, reinigte die Tonköpfe, es ging nicht mehr. Mein Traum entglitt, niemand konnte mir helfen, wahrscheinlich war einfach eins der Tapedecks kaputt. Nach einigen verzweifelten Stunden hatte ich einen wahnsinnigen Wutausbruch. Ich beschloss, die Wand meines Zimmers mit der bloßen Faust durchzuschlagen, das war mir bei der dünnen und niedrigen hölzernen Decke an einer Stelle schon mal gelungen. Ich holte aus und legte meine ganze Verzweiflung in diesen Schlag. Meine Hand traf auf die Wand, der Schmerz war unerträglich. Ich schrie und taumelte rückwärts durch das Zimmer. Die Wand war entgegen meiner Annahme massiv gemauert. Ich hatte mir die Mittelhand gebrochen. Alles war vorbei. Meine Aufnahmeanlage funktionierte nicht mehr, und ich selber war auch kaputt. Ich brach zusammen.
Eine klitzekleine Hoffnung auf Entschädigung trat in mein Bewusstsein: Solange meine Hand in Gips war, würde ich wenigstens nicht arbeiten müssen. Der Mann meiner Chefin war Arzt, und um die Sache nagelfest zu machen, ging ich zu ihm, um den Bruch untersuchen zu lassen. Wenn er mir die Verletzung bestätigte, musste ich ja wohl krankgeschrieben werden. Er bestätigte. Dann kam seine Frau und bat mich, sie nicht im Stich zu lassen. Sie bräuchte mich, ob ich nicht wenigstens den Verkauf machen könne, das würde sie mir nie vergessen. Ich konnte nicht nein sagen.
Völlig fertig saß ich die nächsten Wochen in der Töpferei. Zu meinen sonstigen psychischen Fesseln und Klammern kam jetzt auch noch der Gips, ich war zum Warten verdammt, ich fühlte mich wie ein Druckkessel kurz vor der Explosion. Nichts ging mehr.
Das erotische Netz des Doktor Sexus
In dieser Zeit im Gips drehte sich alles noch langsamer. Zeit wird langsamer, wenn es einem schlecht geht, und schneller, wenn es gut ist. Absolut undurchdachte Regelung. Ab und zu ging ich in der Mittagsstunde ins Café Amore, das war ein kleines Hippiecafé, das in der Straße lag, die «Am Moore» hieß. Dorthin kamen einige der schönsten Mädchen von Stelling. Das Café lag nämlich in der Nähe des Stellinger Schlosses, einer großen weißen Anlage, die sich auf einem Hügel über der Stadt erstreckte und in der ein Internat für höhere Töchter untergebracht war. Einige dieser sauberen Engel flogen allmittäglich ins Café der Herzen, um sich dort bei Bohnenkaffee zu unterhalten und auch einen Blick auf die eingeborenen Männer zu werfen. Daher zog ich meine tonverschmierte Latzhose aus und ging in meinem individuellen Outfit, das ständig wechselte, dorthin. Dann noch der Gips, der, gepaart mit meinem guten Aussehen, bei den jungen Frauen spontanes Mitleid auslöste. Ich bohrte
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