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Dorfpunks (German Edition)

Dorfpunks (German Edition)

Titel: Dorfpunks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
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der Menge davontreiben und verschwand für den Rest des Abends. Obwohl mir Eugene Chadbourne gut gefiel, war ich maßlos enttäuscht. Was hatte ich falsch gemacht? Hatte ich die Kleiderordnung verletzt? Wirkte ich nicht seriös genug? Die Antwort lautete: Ich war einer von den zahllosen Spinnern, die sich melden, weil sie «da so ein Ding am Laufen haben». Das hatte er gemerkt.
    Jochen wollte zurück, ihm reichte dieses Scheiß-Harburg. Mir auch.
    Ich rief lange nicht mehr an bei Hilsberg. Ich wusste nicht, wie ich neu anfangen sollte. Jahre später wurden wir zu guter Letzt doch noch Musikpartner, denn er veröffentlichte ein Projekt, an dem ich teilnahm (unsere Band hieß Motion, die LP «Ex Leben»). Er erkannte mich nicht. Erst als ich ihm von unserem Treffen erzählte, fiel ihm die Episode wieder ein.

Zwei Provinzler fallen über eine Großstadt her
    Mein graues Monster Alltag tötete mich. Ich wollte raus hier. Ich schrieb Songs. Für die Amigos, für Fliegevogel und mich. Vielleicht konnten uns ja diese Songs befreien. Jede Mittagsstunde saß ich im Hinterzimmer und probierte mit meinem kleinen Casio-Keyboard und meiner Gitarre neue Akkorde aus. Texte fielen mir ohne Ende ein. Die Songs hießen:
    Hallo, wir sind die Amigos
    Abendrot, Manuela ist schon lange tot
    Schwester Ursula
    Schmalenstedt
    Für immer Punk
    Johnny ritt in die Ferne
    Liebe kann man sich nicht kaufen
    Fliegevogel und ich trafen uns am Wochenende und probten die Songs. Wir spielten sie im Haus der Jugend vor fünfzehn Freunden. Die Reaktionen waren sehr positiv. Zu der Zeit hatten wir über Schorsch Kamerun relativ gute Kontakte zu den Timmendorfer Punks, die ähnlich verquer waren wie wir, und sie luden uns ein auf eine Party in einer alten Hotelruine. Den Höhepunkt des Abends sollte ein Auftritt der Amigos bilden. Fliegevogel und ich sagten spontan zu. Wir fühlten uns reif für die Welt, wir hatten unser Repertoire beisammen.
    Wir trafen uns mit den Timmendorfern in der besagten verfallenen Ruine. Ein ganzes Hotel gehörte heute Nacht uns. Strom gab es keinen, nur Kerzen und Akustikgitarren. Es war eine ähnlich große Zuschauerzahl wie in Schmalenstedt, der Abend wurde ein voller Erfolg. Wir mussten unsere wenigen Lieder immer wieder spielen, und Texte und Melodien hakten sich dementsprechend schnell bei allen Anwesenden ein. Die Mädchen kreischten jedes Mal, wenn wir von neuem anhoben.
    Wir: Abendrot ohoho,
    Manuela ist schon lange tot
    Ohoho,
    Und wie damals sitz ich heute wieder hier,
    Auf dem einsamen Felsen,
    Mädchen (spitz): dem Felsen der Liiieebe!
    Mit alldem machten wir uns lustig über die Erwachsenenwelt, Musikantenstadl, Hitparade, Schlager, Mainstream, Starverehrung. Wir waren keine Stars, wir waren gute Freunde mit neuen Ideen füreinander. Wir äfften die hässliche Welt nach, wir waren Müllsammler und recycelten die Splitter ihrer geborstenen Oberfläche.
    Als Revanche für den Abend in der Hotelruine luden das nächste Mal wir Schmalenstedter die Timmendorfer ein. Sie sollten mit ihren Bands kommen, mit den Goldenen Zitronen, deren Name in Punkkreisen mittlerweile voller Achtung genannt wurde, und den Möpsen, einer Band, die den großen Sprung erst noch vor sich hatte. Die Zitronen hatten schon diverse Konzerte, unter anderem auch in Hamburg, hinter sich, und es hieß, sie würden bald eine eigene Single machen. Unglaublich! Wir hatten als einzige, aber schlagkräftige musikalische Antwort: die Amigos. Austragungsort unseres Festivals sollte ebenfalls ein altes verlassenes Hotel sein, und zwar das Hotel Dosautal, das ziemlich im Zentrum der Stadt seit Jahren leer stand. Es war ein für kleinstädtische Verhältnisse großes Hotel, mit einem Restaurantbereich und einem Ballsaal mit eigener Bühne. Daneben lag eine Kegelbahn, die einen Kühlschrank beherbergte. Er war voller Alkohol und mit einer Kette umschlossen.
    Die Vorbereitungen für unseren Abend waren ausufernd und hektisch. Karsten und Maria stellten mit Kartoffeldruck die Eintrittskarten her und kümmerten sich um die Kasse, die gesamte Anlage wollten die Zitronen mitbringen, und Getränke waren Privatsache. Wir telefonierten mit allen Punks der Gegend und machten Werbung für unseren Abend. Bloß die Kieler Punks wollte keiner hier haben. Fliegevogel und ich probten sogar und nahmen eine Kassette mit unseren größten Hits auf, die wir an diesem Abend verkaufen wollten. Das Coverartwork war aufwendig kopiert und gefaltet und erzählte unsere frei erfundene

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