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Dorfpunks (German Edition)

Dorfpunks (German Edition)

Titel: Dorfpunks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
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auf Löschpapier genommen und mich jedes Mal über die lustigen Farbeffekte gefreut, ansonsten hatte ich kaum eine Wirkung verspürt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass mit einer derart geringen Menge überhaupt irgendetwas passieren würde, und schluckte das Miniteil auf dem Weg zum Auto. Die Fahrt zurück war lustig, und Eisenkopf beschloss, bei mir zu pennen. Zu Hause machten wir uns Brote und setzten uns auf mein Bett, um zu reden. Meine Eltern schliefen schon. Langsam, aber sicher begannen die Dinge sich zu verformen, die Farben veränderten sich, und eine schleichende Unruhe zog in mich ein. Wir gingen erneut in die Küche, schon allein, um uns zu bewegen, um nach Ablenkung zu suchen. Die Formen der Möbel, des Kühlschrankes wuchsen, mäanderten. Inzwischen war meine Mutter von unserem Gepolter aufgewacht und kam die Treppe runter, um nach dem Rechten zu sehen. Sie betrat die Küche in Form einer länglichen Röhre mit lila Dreiecken am oberen Rand und der Frisur meiner Mutter. Die Röhre fragte mich, was denn hier los sein, ich müsse doch ins Bett, weil morgen wieder Lehre sei und so weiter, sie war augenscheinlich besorgt. Ich erklärte ihr, da ich sie am Klang ihrer Stimme erkannt hatte, alles sei in Ordnung, wir wollten nur noch etwas spazieren gehen, wir seien noch nicht müde. Jammernd und wabernd verließ sie, mittlerweile mit grünen Streifen überzogen, die Küche durch ein amorphes Loch, das ich normalerweise als Tür zum Flur kannte. Ich packte mir eine Flasche Buttermilch und marschierte mit Eisenkopf raus. Zügig gingen wir Richtung Schmalenstedt und von dort aus auf die Umgehungsstraße nach Hellau. Wir hatten mittlerweile begonnen zu rennen, ich hoffte, dadurch entweder die Effekte loszuwerden oder durch die Anstrengung das Zeug auszuschwitzen. Langsam geriet ich in Panik, ich hatte die Kontrolle verloren, erkannte die Welt nicht wieder. Ich sprang hinter die Fahrbahnabgrenzung und versuchte, mich dahinter vor den Dreiecken und Pfeilen zu verstecken, die über meinen Himmel flogen. Dazu ertönten ziemlich beknackte Discosoundeffekte, wie bei Anita Wards «Ring my Bell». Echt. Ich trank die ganze Flasche Buttermilch auf ex. Eisenkopf war cooler drauf, er schob ja keine Panik, machte aber meine Eskapaden aus Solidarität mit, lag auch in den Rabatten. Irgendwann, nachdem ich eingesehen hatte, dass ich meine Visionen nicht loswerden würde, gingen wir weiter, mitten auf der Umgehungsstraße. Langsam verschwand das Dunkel der Nacht, und mit dem ersten Licht verlor ich die Fähigkeit, räumlich zu sehen. Die Welt klappte zu einer zweidimensionalen Comicseite in unheimlich schrillen Farben zusammen. Eisenkopf führte mich durch diese Seiten, allein hätte ich keine Orientierung mehr gehabt. Langsam wich die Angst von mir, ich begriff, dass ich keine Möglichkeit hatte zu entkommen, dass ich mich einlassen musste, und es gelang mir langsam und immer besser. Damit begann auch der Spaß. Wir fingen an, uns zu beömmeln über die Farben und Figuren, die wir sahen. Offenbar waren die Bilder, die wir wahrnahmen, identisch, denn unsere Beschreibungen glichen sich. Den Bahnhof in seinen grotesken elefantischen Formen fanden wir zum Kreischen, und die Geranien vor dem Haus meiner ehemaligen Blockflötenlehrerin leuchteten in so schrillen Farben, dass ich sie mein Leben lang nicht vergessen habe und auch heute noch, wenn ich dort vorbeifahre, zu dem Fleck schaue, an dem sie gestanden haben. Schließlich landeten wir am Ortsausgang Richtung Dörp und setzten uns dort in ein Weizenfeld. Ich ging jetzt ganz auf im Rausch und nahm Erde in die Hände, musterte sie verzückt. Die Erde fing an, sich zu bewegen, und wurde zu lebendigen Würmern. Die Sonne am Horizont war in Milliarden Streifen geschnitten, und ich ließ meinen Blick zwischen Sonne und Würmern hin- und herwandern. Es war wunderschön. Ich meinte in diesem Moment die Welt zu begreifen, hörte meine Gedanken wie in einem Rückwärtsecho herannahen, von meinem Punkt in der Mitte aus waren Vergangenheit und Zukunft gleich, zwei Flügel, auf denen ich flog. Alles war fassbar, jede Idee, jede Farbe, alle Geschehnisse der Welt, es gab keine Schwere mehr, es fühlte sich an wie ein glückliches Erkennen, als wenn ich den Horizont durchstoßen hätte, als wenn die Welt doch keine flache Scheibe wäre.
    Irgendwann standen wir auf und gingen langsam zurück. Ich hatte eine Uhr und war bereits wieder in der Lage, ihren Sinn und ihre Anwendung zu erkennen. Der

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