Dorfpunks (German Edition)
Bandbiographie.
Schließlich war es so weit. Der große Tag zog nieselnd über unserem Hotel auf, und wir waren wahnsinnig aufgeregt. Unser erstes großes, selbst organisiertes Konzert!
Wir ackerten schon mittags im Saal, räumten auf, was in wenigen Stunden von uns selbst verwüstet werden sollte, und hingen ab, warteten, redeten die Show herbei. Am frühen Nachmittag fuhren die Zitronen mit einigen alten Schrottkisten vor, aus denen sie diverse Verstärker und Instrumente luden, die wir zusammen auf die Bühne trugen. Die Anlage wurde gecheckt, und der Sound war den Umständen entsprechend gut. Wir besprachen gemeinsam die Reihenfolge. Zuerst sollten die Möpse spielen, dann die Amigos und zum Schluss die Zitronen. Das würde die Massen zum Durchdrehen bringen. Die Zitronen hatten ihr extravagantestes Outfit an, bunt, schrill, geblümt, die Möpse sahen dagegen zurückhaltender aus, und wir als Amigos trugen Zerschlissenes zu unseren Sombreros.
Ab acht Uhr kamen die Fans oder, besser gesagt, die Freunde, Fans gab es bei uns in dem Sinne nicht. Die Kasse klingelte, der Eintritt lag, glaube ich, bei drei Mark, und der Saal füllte sich. Zu Konzertbeginn waren sagenhafte achtzig Leute im Saal. So viele hatten wir nicht erwartet. Die Möpse heizten dem Publikum richtig ein, und wir Amigos standen danach das erste Mal vor einem größeren Publikum, das nicht zuletzt wegen uns gekommen war. Jeder unserer Songs wurde lautstark mitgegrölt, wir fühlten uns auf unserem Karrierezenit. Die Zitronen nach uns waren echtes Dynamit. Es war (bis auf Slime) das beste Punkkonzert, das ich bis dato gesehen hatte. Die Leute drehten zu den schrillen Prügelklängen total durch und tanzten Pogo bis in die hintersten Winkel des Saals. Der Krach schallte auf die Straße, erschreckte Bürger starrten vom gegenüberliegenden Bürgersteig in die Hotelfenster. Stühle wurden geschleudert, und schließlich traten Honk und Heffer die Tür zur Kegelbahn ein und brachen den Kühlschrank auf. Der frische Alkohol schwappte in den Saal und ließ die Meute endgültig durchdrehen. Die Vorhänge wurden runtergerissen, alles, was nicht niet- und nagelfest war, durch die Gegend gefeuert. Woher wohl dieser unbedingte Wille zur Zerstörung immer kam? Aber ohne das wär’s nichts gewesen. Am Ende, nach dem Konzert, war der Saal eine Müllhalde und wir glücklich und zufrieden. Als auch die letzten Alkoholvorräte zur Neige gingen, verließen wir das sinkende Schiff und fuhren zu Meier, die hatten bestimmt noch was. Das Hotel hatte seine Schuldigkeit getan, die Miete war im Voraus bezahlt, und wir hatten damit nichts mehr zu tun.
Einen Monat später sollten die Toten Hosen nach Timmendorf kommen. Campino war bereits mit Schorsch bekannt, und der hatte die Hosen für das Konzert gewinnen können. Das war sehr aufregend für uns. David hatte schon die ersten beiden Singles angeschleppt und sie für das ganz große neue Ding erklärt. Zunächst verstand ich es nicht. Die hatten ja auf dem Cover ganz normale Siebziger-Jahre-Klamotten an. Was sollte das denn? Die waren doch grade erst vorbei, die Siebziger. Und das sollten Punks sein? Aber dann kam die «Opel Gang»-LP und ging wie ein inländischer «Never mind the bollocks»-Komet über dem norddeutschen Punkhimmel auf. Diese Platte war ein neuer Kraftschub für unsere Bewegung, die schon deutlich spürte, dass sie nur noch ein Nachbeben von etwas Größerem war. Es wurde nichts anderes mehr gehört, nur noch «Opel Gang». Ein neuer Geist sprach aus den Texten, sie waren nicht mehr so verkniffen politisch wie z. B. die Slime-Texte, sondern offener, spielerischer, auslegbar. Die Melodien konnte man erstklassig mitsingen, der Sound war wundervoll schrengelig. Und die Klamottenidee leuchtete mir im Nachhinein ebenfalls ein: Auch die Hosen wollten sich von den normalen Prollpunks unterscheiden, genau wie wir.
Am Tag des Konzerts machten sich alle Schmalenstedter Punks nach Timmendorf auf, in Autos und auf Motorrädern. Johlend trafen wir an der Ostseepromenade auf die Timmendorfer Punks. Das war die beste Punkansammlung, die ich bisher erlebt hatte. Alle First-Class-Punks der Gegend hatten sich für diesen denkwürdigen Tag hier versammelt, und gemeinsam warteten wir auf die interessanten Rockmusiker. Der Platz, an dem wir uns mit der üblichen Verpflegung niedergelassen hatten, war ein Verkehrskreisel. So um 15 Uhr fuhren die Hosen in die Stadt ein und rollten mit ihrem alten BMW an uns vorbei. Auf
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