Dornen der Leidenschaft
hatte. Und der Kapitän war froh, daß die Sache so ausgegangen war. Kurz darauf segelte das Schiff langsam aus dem Hafen.
Als er allein in seiner kleinen Kabine war – der treue Pancho holte gerade Badewasser für seinen Herrn –, zog Salvador die Uhr, die er von Basilio gekauft hatte, aus seiner gut geschnittenen Jacke. Dann nahm er seine eigene Uhr von der goldenen Uhrkette ab und befestigte die neue Uhr daran. Danach öffnete er den Klappdeckel, und die merkwürdige Melodie zog ihn wieder in seinen Bann.
Einen Augenblick lang überlegte er fieberhaft, wo er sie schon einmal gehört haben könnte, und übersah dabei das Porträt des jungen Mädchens auf der Innenseite des Deckels. Aber als er das fein gemalte Bild schließlich entdeckte, konnte er seine Augen nicht mehr davon abwenden. Was war das für eine wunderschöne Frau! Die schönste Frau, die er in seinem ganzen Leben gesehen hatte. Salvador überlegte hingerissen, wie es sich wohl anfühlen würde, diese schwellenden Lippen zu küssen. Merkwürdigerweise hätte er schwören können, daß er es ganz genau wußte. Aber wie konnte das möglich sein? Er hatte das Mädchen noch nie in seinem ganzen Leben gesehen. Trotzdem war es ihm, als ob er jede Locke ihres schwarzen Haares, jeden Blick ihrer leuchtendblauen Augen genau kannte. Wer war diese zauberhafte Frau, deren Bildnis ihn so verhext hatte?
Er betrachtete es ganz genau und entdeckte eine Inschrift. Con amor, Aurora. Die Worte fuhren ihm wie ein Messer ins Herz.
Ich bin verrückt geworden, dachte er, wirklich verrückt. Denn wie könnte ich sonst von dieser traurigen Melodie verzaubert sein und Qualen der Eifersucht erleiden wegen eines jungen Mädchens, das ich noch niemals gesehen habe? Ay, caramba! Ich muß wirklich verrückt geworden sein.
Er ließ den Deckel der Uhr zuschnappen und schüttelte verwundert den Kopf. Dann steckte er die Uhr in die Tasche.
Es war nur eine Uhr, sonst nichts.
5. KAPITEL
Juan hatte den Leichnam seines Vaters auf dem Fußboden des kleinen Salons gefunden. Por Dios! Niemand hatte es für nötig befunden, den Toten mit einem Tuch zu bedecken.
Juan hatte seinen Vater nicht geliebt. Manuel hatte es für ein Zeichen von Schwäche gehalten, Gefühle zu zeigen, und hatte deshalb großen Wert darauf gelegt, daß auch in seinem Sohn Juan Gefühle gar nicht erst aufkamen. Dadurch war Juan genauso kalt und grausam wie sein Vater geworden. Aber er hatte ihn sehr bewundert und fast wie zu einem Gott zu ihm aufgeschaut. Denn niemand hatte Manuel jemals besiegt – bis jetzt. Santa María! Daß er ausgerechnet unter Salvadors Händen gestorben war!
»Wo ist Doña Catalina?« hatte er die verschreckte Dienerschaft angebrüllt.
»Sie ist – sie ist gegangen, Señor el Marqués«, hatte Manuels Diener Alberto gestammelt.
»Gegangen? Wohin?« hatte Juan mit eiskalter Stimme gefragt.
»Ich – ich weiß es nicht, Señor el Marqués. Sie hat vor fast drei Stunden mit Señor el Conde de Fuente das Haus verlassen.«
Juan hatte mit hochrotem Gesicht die Fäuste geballt. Es war die schlimmste Nacht seines Lebens gewesen. Francisca de Ubrique hatte es gewagt, ihm einen Korb zu geben, und war mit Basilio Montalbán geflohen. Während er die Liebenden verfolgt hatte, hatte sein Bruder seinen Vater ermordet. Danach war diese dumme Gans, seine Mutter Catalina, mit Don Timoteo durchgebrannt. Nun, das würde sie büßen! Juan würde ihren Lieblingssohn Salvador aufstöbern und töten. Das würde ihr das Herz brechen.
»Meinen Hut und meine Handschuhe«, hatte er den Diener seines Vaters angebellt. »Ich habe heute nacht noch viel zu tun!«
Juan knirschte vor Wut und Verbitterung mit den Zähnen. Er hatte sich in die Buchhaltung seines Vaters vertieft und zu seinem großen Ärger feststellen müssen, daß dessen Reichtum nicht halb so groß war, wie er angenommen hatte.
Sein Vater war zwar ein wohlhabender und mächtiger Mann gewesen, aber seine Reichtümer waren nicht ehrlich erworben, und der Unterhalt seiner Güter hatte ein Vermögen verschlungen.
Und Catalinas fürstliche Garderobe und ihr wertvoller Schmuck! Warum hatte Manuel sein Geld an diese Nutte verschwendet? Juan würde den Schmuck zurückfordern, war sich aber nicht sicher, ob sie ihn herausrücken würde. Sie würde einfach behaupten, daß die Juwelen verschwunden seien, und Juan konnte seine Mutter doch schlecht als Diebin hinter Schloß und Riegel bringen lassen. Die Königin, die ihre eigene Mutter geradezu
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