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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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soll das? Ich möchte aussteigen. Kann ich bitte aussteigen?«
    Ich wusste nicht, wo wir waren, aber es musste eine Gegend sein, in der man großzügig auf Straßenbeleuchtung, Leitplanken und Verkehrsschilder verzichtet hatte. Ich hatte den Eindruck, dass wir die Küste verlassen hatten und an Höhe gewannen; mehr war wegen der nächtlichen Dunkelheit nicht zu erkennen. Viel bedenklicher als das Gefühl, ins Nirgendwo zu fahren, waren jedoch die Haarnadelkurven, denen ich ausgesetzt wurde; Kurven, die so eng geschnitten waren, dass Colin ab und zu hupte, um entgegenkommende Fahrzeuge zu warnen, doch wir befanden uns weitgehend allein auf dieser schmalen, schlecht befestigten Straße. Ich hatte noch nie jemandem ins Auto gekotzt, aber dieses Mal bekam ich Angst, es würde geschehen. Wenn ich wenigstens etwas gesehen hätte, an dem sich meine Augen festhalten konnten! Die Kurven folgten zu rasch aufeinander, um sich einen Fixpunkt auszusuchen und den Gleichgewichtssinn zu entlasten.
    »Colin, halte an, bitte. Mir ist übel«, vermeldete ich meine Not in einem erwachsenen, gefassten Ton, um ihm den Ernst der Lage bewusst zu machen. Vielleicht nahm er mich wahr, wenn ich mich vernünftig gab.
    Nach zwei weiteren Kurven stoppte er den Wagen. Klackend sprang die Zentralverriegelung auf. Er hatte tatsächlich die Türen versperrt, während wir gefahren waren. Damit Angelo nicht eindringen konnte, wenn er sich ans Auto hängte, oder damit ich nicht fliehen konnte?
    »In Ordnung, gehen wir ein paar Schritte.«
    Er holte mich an meiner Tür ab und ließ mir Zeit, tief durchzuatmen, bevor ich auf wackeligen Knien neben ihm hertapste. Jetzt erst bemerkte ich, dass wir am Rande eines Dorfes – oder war es ein Städtchen? – geparkt hatten. Immerhin, es gab noch Zivilisation hier oben. Doch das Dorf wirkte vergessen und verlassen, obwohl ich ein paar schäbige Cafés und Läden sah und in einigen Häusern noch Licht brannte. Ein von Räude zerfressener, dürrer Hund kreuzte unseren Weg und verschwand in einer steilen Gasse. Auch hier hätte jedes einzelne Gebäude eine Grundsanierung vertragen können. Der Ort sah noch heruntergekommener aus als Calopezzati.
    »Sieh zu, was passiert«, forderte Colin mich auf, als wir der Piazza entgegenschritten. Ich war noch zu sehr mit meinem Magen beschäftigt, um zu fragen, was das alles eigentlich sollte. So gehorchte ich stumm, denn ich war für jede Ablenkung dankbar.
    Man musste keine allzu feine Beobachtungsgabe haben, damit man verstand, was Colin meinte. Die wenigen Menschen, die auf klapprigen Stühlen vor ihren Häusern saßen und die Nachtluft genossen, zogen sich zurück, nachdem wir an ihnen vorbeigelaufen waren. Lichter erloschen, Läden schlossen sich, Gäste brachen auf, Kellner schafften die Tische zur Seite – nicht alles gleichzeitig, nein, sondern nach und nach, doch ich befand mich schon zu lange als Zaungast in der Welt der Mahre, um es als Zufall zu betrachten.
    Eine knappe Viertelstunde später bewegten wir uns in einem menschenleeren, totenstillen Dorf. Was immer die Bewohner in die schützenden Mauern ihrer Häuser getrieben haben mochte – es war stärker als ihr Wunsch, die Nacht auszukosten und sich zu begegnen. Doch morgen früh würden sie es wahrscheinlich schon wieder vergessen haben.
    »Das bin ich«, erklang Colins Stimme in meinem Kopf. Ich wollte protestieren, aber was nutzte es schon? Ja, vermutlich war all das seinetwegen geschehen. Er tauchte auf, die Menschen verschwanden. Oder ihnen wurde unwohl. Oder sie stritten sich. Babys weinten und Hunde kläfften. Ich erlebte das schließlich nicht zum ersten Mal. Es war zwar nie so extrem gewesen wie eben, aber diese Theatervorstellung hätte er sich sparen können.
    Trotzdem schwieg ich eingeschüchtert, als wir zurück zum Auto liefen und Colin den Motor anwarf. Wir überwanden vier bis fünf weitere halsbrecherische Kurven, dann bogen wir in den dichten Wald ab und Colin lenkte den Wagen von der Straße weg über einen holprigen Pfad, bis auch dieser keine Möglichkeit mehr bot weiterzufahren. Erneut stiegen wir aus, doch nun reichte Colin mir seine Hand und ich nahm sie, weil ich froh war, etwas zu haben, an dem ich mich festhalten konnte, während wir durch die Finsternis stapften. Dieser Wald roch anders als unserer, nach verdorrtem Gras und nach Feuer. Wahrscheinlich brannte es irgendwo in der Nähe. Sehen konnte ich die Flammen nicht, aber der durchdringende Gestank nach Asche und verkohltem

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