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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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Holz war dominanter als jedes andere Aroma.
    Nach einer halben Stunde Fußmarsch blieb Colin plötzlich stehen, duckte sich und zog mich unter zwei Tannen hindurch zu einem Felsen, hinter dessen steiler Wand sich eine Höhle befand, der Eingang gerade so hoch wie ein Kind. Verblüfft erkannte ich, dass sich im Inneren der Höhle eine Decke, ein Rundballen Heu und ein Bündel Klamotten befanden.
    Colin setzte sich unter den niedrigen Felsüberhang und wartete, bis ich ihm gegenüber Platz nahm. Es war kühl hier drinnen, keine feuchte Kühle, aber zu kalt, um sich mit einer kurzen Jeans und einem dünnen Hemdchen wohlzufühlen. Unbehaglich strich ich über meine nackten Beine.
    »Hier lebe ich, wenn ich nicht bei euch bin. Also die meiste Zeit«, erklärte Colin, sein Gesicht ein einziges Rätsel, wieder einmal. Ich hatte noch nie einen Menschen gekannt, der so konsequent seine Emotionen verbergen konnte. In mir selbst wechselten sich Zorn und Teilnahmslosigkeit ab, doch vor allem wollte ich wissen, warum er mich an diesen trostlosen Platz verschleppt hatte. Ich entschied mich, ihn herausfordernd anzusehen, anstatt zu reden; vielleicht erzielte das eine bessere Wirkung.
    »Er ist ein Mahr, Ellie.«
    »Das weiß ich!«, rief ich, erleichtert, über Angelo sprechen zu können. »Er hat es mir gesagt und ich hatte es mir sowieso gedacht. Er hat gar nicht versucht, es zu verbergen. Außerdem meinte er, dass ich vor ihm keine Angst haben muss.«
    »Wie putzig«, spottete Colin. »Ich hatte dir etwas mehr Intelligenz zugetraut, Elisabeth. Er ist ein Mahr, ich sage es gerne noch einmal. Gegenüber Mahren ist es das Beste, grundsätzlich gar nichts von dem zu glauben, was sie sagen. Täuschung liegt in ihrem Wesen.«
    »Ja, das mag vielleicht stimmen, wenn sie ihre wahre Natur verleugnen, aber das tut er nicht!«
    Colin stöhnte auf. »Wie soll ich es dir nur begreiflich machen? Du kannst einem Mahr nicht trauen, ganz egal, was er sagt, tut und vorgibt zu sein! Mahre sind immer gefährlich, immer!«
    »Ach ja? Merkst du eigentlich, was du da sagst?«, fuhr ich ihn an. »Ich kenne diese Leier schon, mein Vater wollte mir das auch einbläuen. Traue keinem Mahr. Wenn ich es geglaubt hätte, wären wir beide nie zusammengekommen. Du schneidest dich ins eigene Fleisch. Oder hast du mich die ganze Zeit angelogen, hm?«
    »Nein, aber in Gefahr bist du bei mir trotzdem, falls dir das die vergangenen Monate nicht aufgefallen sein sollte.« Colin hatte seine Augen nach draußen in den dunklen Wald gerichtet, während er antwortete – bekam er schon wieder Hunger?
    »Ich will ja gar nicht behaupten, dass Angelo ungefährlich ist«, lenkte ich etwas besonnener ein. »Aber er ist ein Mahr, er bekennt sich dazu und er könnte uns vielleicht wichtige Informationen geben, wohin mein Vater verschwunden ist. Er machte einen gesprächigen Eindruck. Ich möchte ihn jedenfalls wiedersehen und …«
    »Nein. Nein, das wirst du nicht.«
    »Das entscheide ich immer noch selbst«, fauchte ich.
    »Ellie, wie weit willst du eigentlich noch gehen? Wie weit? Was muss passieren, damit du begreifst, mit wem du dich eingelassen hast? Muss erst jemand von euch sterben, bevor du es verstehst?«
    »Nein, aber …« Ich sah meine Argumente davonschwimmen. Themawechsel. »Warum hast du mich an diesen gottverlassenen Ort gebracht?«
    »Weil ich hier jagen gehen kann, falls der Hunger zurückkommt, und wir dadurch die Möglichkeit haben, länger als sonst miteinander zu sprechen. Außerdem wollte ich dir vor Augen führen, wie ich lebe.«
    »Ich weiß, wie du lebst, Colin«, sagte ich abweisend.
    »Nein, ich denke, das weißt du nicht. Du willst es nicht wissen. Ellie, mein Herz …« Er griff nach meinen Händen und nahm sie in seine, unsere erste liebevolle Berührung in dieser Nacht. »Kannst du dir nur für einen Moment vorstellen, wir wären Freunde und du würdest mir als Freund zuhören, mich als Freund zu verstehen versuchen?«
    Über uns schrie ein Vogel, gierig und jagdlustig. Er freute sich aufs Töten. Wieder drang eine Schwade Brandgeruch in meine Nase. Ich schwieg, während meine Gedanken einen zähen Knoten bildeten. Mit Colins Bitte hatte ich nicht gerechnet. Ihm als Freund zuhören? Nur als Freund? Worauf wollte er hinaus – und wie sollte es mir gelingen, meine Liebe zu ihm zu vergessen?
    »Ich … ich weiß es nicht«, gestand ich. »Ich glaube nicht, dass ich das kann. Ich würde mir immerzu wünschen, dich anfassen zu dürfen, bei dir

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