Dornenkuss - Roman
ich mir«. Falls er überhaupt mich meinte. Gestern noch hatte er für eine Betty gesungen – eine Betty, das musste eine Frau sein, kein Mädchen –; wie kam ich überhaupt auf die Idee, dass ich gemeint war? Trotzdem rührten mich diese Zeilen. Es war ein Geheimnis, das wir nun teilten, ohne dass er davon wusste.
»Entschuldige bitte.« Angelo war aufgestanden und kam auf mich zu. »Manchmal dauert es ein bisschen hierzulande. Schön, dass du da bist. Möchtest du etwas trinken?«
»Ich, äh …« Zweifelnd schaute ich ihn an, zweifelnd und ein wenig betört, aber vor allem zweifelnd.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte er, als er meinen suchenden Blick registrierte.
»Du … hm. Du siehst genauso aus wie gestern Abend! Du hast gar keine anderen Farben … also, ich meine …«
»Sollte ich das denn?«
Nein, das solltest du nicht, dachte ich, bitte nicht, bloß nichts anderes als dieses atemberaubende Türkis, das sich gerade einen lebhaften Wettstreit mit dem Poolwasser lieferte. Aber merkwürdig fand ich es schon. Haut, Haare und Augen schienen sich bei Sonne und Tageslicht nicht zu verändern. Allerdings war das bei François auch nicht der Fall gewesen …
»Ich hol dir etwas zu trinken«, nahm Angelo der Situation souverän ihre Peinlichkeit – souverän oder weil er zu schüchtern war, um meinen Blicken standzuhalten? Hatte ich ihn in Verlegenheit gebracht? Wohl kaum. Trotzdem sollte ich mein Starren ein wenig mäßigen.
Als er mit zwei Gläsern in der Hand zurückkam – Eistee –, hatte ich mich wieder unter Kontrolle gebracht. Ich nahm einen kleinen Schluck, um meine vor Aufregung trockene Kehle zu befeuchten.
»Also«, sagte ich gefasst. »Du … du hast gesagt, dass du weißt, wer ich bin?«
Angelo nickte und nahm ebenfalls einen Schluck. »Ja, das weiß ich, zumindest gehe ich davon aus, dass ich es weiß … Ellie Sturm, oder?«
»Ja. Elisabeth eigentlich oder eben Ellie, manchmal auch Elisa, Lieschen, Lassie …« Ich stockte. Hatte ich diesen Kosenamen preisgeben dürfen? War das unrecht? Aber meine Freundinnen hatten mich früher auch so gerufen. Ich überließ anderen Menschen, wie sie mich nannten, jeder hatte so seine eigenen Ideen.
»Elisa …«, wiederholte Angelo nachdenklich, als würde er überlegen, ob dieser Name zu mir passte.
»Ja, Gianna nennt mich so, es hat wohl was mit Homo Faber zu tun, in diesem Buch gibt es doch auch eine Elisabeth und von ihrem Vater wird sie Sabeth genannt und von ihrer Mutter Elisa …« Ich stockte wieder, denn Angelos sandfarbene Brauen kräuselten sich. Nachdenklich schüttelte er den Kopf, seinen Blick nach innen gerichtet.
»Nicht?«, fragte ich forschend.
»Nein, ich glaube nicht. Sie nennt sie Elsbeth.«
»Elsbeth! Oh, wie furchtbar … Bist du dir sicher?«
»Ziemlich sicher. Ich habe das Buch ungefähr zwanzig Mal gelesen, es ist grandios. Na, nicht so wichtig. Elisa ist ja auch schön. Wie soll ich dich denn nennen?«
Ich fand es schon wichtig. Ausgerechnet Gianna, unsere Literaturpäpstin, hatte Homo Faber falsch zitiert. Das an sich war vielleicht noch verzeihlich, wobei ich ihr ihre Schlampigkeit irgendwie übel nahm; was mich daran aber beunruhigte, war die Tatsache, dass ansonsten nur Papa mich Elisa genannt hatte. Papa und Gianna waren sich begegnet. Gianna hatte abgestritten, dass sie mehr miteinander zu tun gehabt hatten als diese eine berufliche Zusammenkunft auf einer Konferenz, und ich hatte ihr geglaubt. Aber jetzt nagten wieder Zweifel an mir … Waren sie berechtigt? Oder hatte sie sich einfach nur geirrt?
»Hey. Noch da? Wie soll ich dich nennen?«
Angelos Lächeln befreite mich aus meinem plötzlichen Verfolgungswahn.
»Keine Ahnung. Ellie, würde ich sagen. Ich bin ja auch nicht hier, um mir einen perfekten Namen zu suchen.« Klang das unverschämt? Aber mir ging diese Namenssucherei auf den Geist. Sie fühlte sich unbefriedigend an, schon immer war das so gewesen. Auf keinen Fall durfte er mich Lassie nennen, das war Colin gestattet und sonst niemandem.
»Okay, von mir aus Ellie«, willigte Angelo ein, offenbar weder gekränkt noch genervt. Er lächelte immer noch. Ich hätte ihn gerne nur angeschaut, anstatt zu reden, doch ich hatte ein Anliegen, das wichtiger war.
»Du weißt also, dass ich mit einem Mahr zusammen bin und … weißt du auch, wer mein Vater ist?« Auf einmal packte mich rasende Angst, etwas Schlimmes zu erfahren, etwas, was mein Leben für immer verfinstern würde. Ich
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