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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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hier?«
    »Das könnte ich dich auch fragen«, entgegnete ich einen Hauch schnippisch – nur einen Hauch, verscheuchen wollte ich ihn schließlich nicht.
    »Nun ja … ich hab auf der Landstraße einen qualmenden Wagen mit deutschem Kennzeichen stehen sehen. Und zwar nicht aus dem Hochsauerlandkreis.«
    »Hä?«, machte ich verständnislos. Hochsauerlandkreis?
    »Wenn einem hier ein deutscher Wagen begegnet, dann in der Regel aus dem Hochsauerlandkreis. Ganze Dörfer sind dorthin ausgewandert und im Sommer kommen einige Bewohner zu Besuch in die alte Heimat. Doch das Kennzeichen war ungewöhnlich. Dazu deine Sandalen auf dem Beifahrersitz …«
    Ich äugte verwundert nach unten, wo meine staubigen Zehen sich dunkel vom hellen Boden abhoben – dunkel deshalb, weil die Sonne sie inzwischen gebräunt hatte. Die weiche Haut zwischen den Zehen leuchtete weiß, wenn ich sie spreizte. Ja, richtig, ich war barfuß gefahren, um mit den glatten Sohlen nicht von den Pedalen abzurutschen, und ich hatte vorher jene Sandalen getragen, die ich auch bei meinem Besuch in Angelos verwunschenem Paradiesgärtlein anhatte. So weit, so gut – bis auf die Tatsache, dass ich barfuß über eine Schotterstraße gelaufen war und es nicht einmal gemerkt hatte.
    »Das erklärt aber noch nicht, was du hier oben machst!«
    »Klavierstunden geben. In Cosenza.«
    Bei einem jungen Mädchen namens Betty?, dachte ich, was ich nicht zu fragen wagte. Angelo verzog kurz den Mund. Es genügte, um ein Grübchen in seine Wange zu zaubern.
    »Du … du dachtest doch nicht etwa, du findest hier deinen Vater? Oder? Warst du auf der Suche nach Mahren?«
    Ja, so ungefähr traf das zu und jetzt, wo mich jemand danach fragte, ahnte ich, wie naiv und gewagt meine Spritztour in die Sila gewesen war.
    »Ich … ich wollte nur schauen, ob … Gib es zu, Angelo, dieses Dorf ist seltsam, irgendetwas stimmt hier nicht!«, verteidigte ich mich. Es war das erste Mal, dass ich ihn mit seinem Namen ansprach, und es fühlte sich gut an. Irgendwie kam ich mir sofort selbstsicherer und erwachsener vor.
    »Ja, hier stimmte wahrhaftig etwas nicht, da hast du wohl recht, und es ist kein Ort, an dem sich eine hübsche junge Frau allein herumtreiben sollte.«
    »Also doch Mahre …«
    »Nein. ’Ndrangheta.«
    ’Ndrangheta. Die kalabrische Mafia, angeblich eine der schlimmsten und brutalsten Mafiaorganisationen weltweit. Angelo sprach sie weicher aus als Gianna, wenn sie sich ungefragt in Mafiagruselgeschichten verlor, doch wie immer fand ich diesen Namen Furcht einflößend. Die ’Ndrangheta war allgegenwärtig, wie ich mittlerweile wusste. Wenn man sie ausrottete, war das, als würde man Kalabrien seine Lebensader zerschneiden, durch die unweigerlich auch ihr Gift floss.
    »Glaub mir, hier gibt es keinen Mahr weit und breit. Die Gefahr ist größer, dass du auf einen Mafioso triffst, der in einem der Häuser seine Waffen bunkert, und dann kann es brenzlig werden. Das gesamte Dorf ist bei einer Razzia ausgehoben worden, die wenigen, die übrig blieben, sind abgewandert. Hast du nicht gesehen, dass die Fensterläden schusssicher gemacht wurden?«
    Doch. Das hatte ich gesehen, aber ich hatte es komplett falsch gedeutet.
    »Und die Mahre haben nichts mit der Mafia zu tun?« So schnell wollte ich meine Theorie nicht verwerfen.
    »Nein. Wir ordnen uns nicht gerne irgendwelchen Organisationen unter, ob kriminell oder nicht. Ein lustiger Gedanke übrigens …« Angelos Mundwinkel bogen sich leicht nach oben, was seinem unterdrückten Lächeln einen verträumten Ausdruck verlieh. Hätte ich einen Fotoapparat dabeigehabt, hätte ich genau jetzt den Auslöser betätigen müssen. »Wie kommst du überhaupt auf die Idee, hier zu suchen, ausgerechnet an diesem Fleck Erde?«
    »Ich … ach, scheiß doch der Hund drauf«, brummelte ich. Nun konnte ich wohl auch meine letzte Hoffnung begraben. »Wäre es nicht möglich, dass hier Mahre leben, die mir irgendetwas sagen oder meinen Vater …« Ich konnte nicht weitersprechen. Meine Gedanken spielten Nachlaufen, ohne dass einer von ihnen gewinnen konnte. Was ich zu sagen versuchte, klang wirklich äußerst abstrus.
    »Wovon sollten sie sich denn ernähren?«, fragte Angelo – eine berechtigte Frage, die mich vollends entmutigte. Selbst wenn hier noch Menschen gelebt hätten: Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ihre Träume besonders nahrhaft gewesen wären. Die Armut in den Bergdörfern war zum Greifen nahe; ich hatte bis zu

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