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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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diesem Sommer nicht gewusst, dass es in Europa überhaupt noch Menschen gab, die sich so fernab der modernen Welt mit dem durchschlugen, was ihnen die Natur zur Verfügung stellte, und nahezu von der Außenwelt abgeschnitten waren. Viel war es nicht, was sie tun konnten, um zu überleben: etwas Viehzucht, mühselig betriebene Landwirtschaft und altes Handwerk, das irgendwann aussterben würde. Ich konnte gut verstehen, dass ganze Dörfer von der Landkarte verschwanden, weil die Bewohner ihr Glück im Norden versuchten.
    »Komm, lass uns hier abhauen, bevor der Rest der Decke einstürzt«, schlug Angelo vor. »Ich kann nicht versprechen, dass ich beim zweiten Mal wieder an der richtigen Stelle stehe, um dich aufzufangen.«
    Es kostete ihn nicht den geringsten Kraftaufwand, die schwere Tür aufzuziehen. Draußen musste ich die Hand vors Gesicht halten, um das grelle Nachmittagslicht abzuschirmen, bis ich mich wieder daran gewöhnt hatte und sehen konnte.
    »Also gibt es hier oben keine Mahre?« Ich konnte nicht lockerlassen. Was sollte ich nur tun, wenn ich nach Hause kam und wieder nichts herausgefunden hatte? Ich wollte nicht, dass die anderen aufgaben und unsere Rückreise planten.
    »Es mag den ein oder anderen Mahr außer mir geben in Süditalien, aber sie schreiben es bestimmt nicht an ihre Haustür, und selbst wenn du sie findest, bedeutet das nicht, dass sie Informationen über deinen Vater besitzen oder sie gar preisgeben. Ellie … ich weiß, es geht mich nichts an, aber mir wäre wohler, wenn du es in Zukunft bleiben lassen würdest, allein in ausgestorbenen Dörfern herumzuspazieren.« Zum Glück klang er nicht wie ein Oberlehrer, sondern lediglich milde besorgt, sonst hätte ich meine Krallen ausgefahren.
    »Aber ich muss doch irgendetwas tun!«, wehrte ich mich dennoch.
    Angelo schwieg, die Hände in den hinteren Hosentaschen, den Blick gesenkt, was mich betrübte, als hätte mir jemand etwas Wertvolles aus den Armen gerissen. Er schien darüber nachzudenken, wie er das, was er mir nun sagen wollte, in Watte packen und ein Schleifchen darum binden sollte, aber das würde ihm nicht gelingen. Da gab es nichts zu verniedlichen. Meine Suche war sinnlos und gefährlich dazu. Ich würde hier nicht weiterkommen. Offenbar gab es viel weniger Mahre, als ich angenommen hatte.
    »Und die Liste? Was ist mit der Liste?«, zog ich meinen allerletzten Joker. Angelo hob erstaunt seinen blonden Schopf.
    »Liste?« Nun war er derjenige, dessen Augen sich vor Verwunderung weiteten.
    »Die Liste mit den Halbblütern«, erklärte ich ungeduldig. »Wer hat Zugriff auf diese Liste?«
    »Ellie, ich … ich weiß nichts von einer Liste. Eine schriftliche Liste? Ein Blatt Papier mit Namen von Halbblütern?«
    »Nein, eine Liste, die mündlich weitergegeben wird von Mahr zu Mahr. Kollektives Wissen eben.«
    »Also, es stimmt schon, dass die Halbblüter manchen Mahren ein Dorn im Auge sind und sie nicht gerne gesehen werden, aber von einer Liste weiß ich nichts. Meistens erledigt sich das mit den Halbblütern doch sowieso von selbst …« Angelo stockte, als habe er zu viel gesagt.
    »Was meinst du damit?«
    »Nichts. Nicht so wichtig«, wehrte er ab. Hatte er eben andeuten wollen, dass Halbblüter im Gegensatz zu den Mahren irgendwann starben – oder dass sie gelyncht wurden? »Ellie, ich mache dir einen Vorschlag: In Longobucco gibt es die beste Pizza weit und breit. Hast du Hunger?«
    Verdattert nickte ich. Ja, ich hatte Hunger, großen sogar, schließlich hatte ich das Mittagessen ausfallen lassen. Jetzt konnte ich eine Frustmahlzeit gut gebrauchen und Pizza eignete sich hervorragend dafür.
    »Dann nehmen wir meinen Wagen und ich organisiere dir in Longobucco einen Abschleppdienst. Wahrscheinlich ist ein Kühlschlauch geplatzt, das lässt sich schnell reparieren.«
    »Okay, einverstanden.« Das war sogar besser, als ich dachte. Es gab mir Zeit, weitere Fragen zu stellen.
    Doch vorerst wollte ich nicht mehr reden. Stumm liefen wir aus dem Dorf hinaus und über die Schotterpiste zur Landstraße, wo mir Angelos Wagen schon von Weitem entgegenleuchtete – ein schnittiger alter Alfa Romeo. Rot. Und offen. Ja, das Dach des Volvos hatte ich hier schon einige Male verflucht. Ich schnappte mir meine Sandalen von seinem Beifahrersitz und die Flasche mit lauwarmem Wasser, die ich im Fußraum gelagert hatte, und stieg zu Angelo in den Wagen. Er klaubte gerade einen Packen Noten und ein Metronom vom Lederpolster, um mir Platz zu

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