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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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und meine Zehen streifte. Nicht ich fürchtete mich vor ihr. Sie fürchtete mich. Ich beugte mich nach vorne, um sacht ihre Fangarme zu berühren. Sie erstarrte in der Bewegung. Kühl fühlte sie sich an, kühl und samtig.
    »Geh weiter … geh rauben …«
    Die Sonne brannte auf mein Haar und meine Schultern. Ich wollte ihr jede Sekunde dafür danken. Wir kauten die Feigen der Kakteen, bis der klebrige Saft aus unseren lächelnden Mündern auf den Sand tropfte und die Ameisen anlockte.
    Wir ließen die Zikaden wieder singen, ihr altes Klagelied, das sich selbst dann noch erheben würde, wenn die Welt unter uns in Schutt und Asche lag.
    Es rauschten leis’ die Wälder, so sternklar war die Nacht …
    Wozu sich nahe kommen, wenn ich meine Träume hatte, die ich doch ganz alleine bestimmen konnte, sie formen und gestalten, wie meine Sehnsucht es verlangte?
    Ich war nicht einsam, sobald ich mich diesen Bildern hingab, ich spürte seine Berührungen, als wären sie da, wissend, dass ich nichts Falsches oder Liederliches tat. Er dachte auch daran, das wusste ich, ohne dass wir je darüber geredet hätten. Unsere Gedanken kreisten Tag und Nacht darum, vor allem nachts, wenn er raubte und ich im Dunkeln lag und sein Gesicht und seine Hände heraufbeschwor, seinen Mund, den ich immerzu küssen und schmecken wollte, seine Hände, die nichts falsch machen konnten, nicht bei mir … weil sie gar nichts taten. Ich war es, die sie wandern ließ.
    Ich flüsterte zu ihm wie eine längst verstorbene Seele, wehmütiges Lispeln aus abgründigsten Tiefen, und verließ mich darauf, dass er mich hörte, selbst wenn er noch so fern durch die Wälder strich und die Tannen über seinem stolzen Haupt im Wind tosten.
    »Wo sind wir hier? Es ist, als ob …«
    Ich schloss die Augen und öffnete sie wieder. Schroff fielen die Felsen zum aufgewühlten Meer hinab, aus steiler, schwindelerregender Höhe. Ich kannte diesen Platz. Ich war schon hier gewesen, ohne dass ich mich daran erinnern konnte. Er gehörte zu meinem Reich. »Es ist, als ob er zu mir spricht.«
    »Was erzählt er? Ein Märchen? Eine alte Legende?«
    »Eine wahre Geschichte.«
    »Möchtest du trotzdem die Legende hören?«
    »Ja.«
    Unsere Arme berührten sich, als er die Hand hob und über die glitzernden Blauschattierungen des Meeres bewegte, auf dessen Grund so viele unentdeckte Schätze begraben lagen, dass ich am liebsten von hier oben zu ihnen hinabgetaucht wäre.
    »Man nennt diesen Ort das Capo Vaticano. Sarazenen raubten eine Frau – eine wunderschöne Frau, erzählt man – und hielten sie hier oben fest. Aus lauter Unglück soll sie sich ins Meer gestürzt haben. Seitdem leuchtet es in ihren Lieblingsfarben: Blau und Türkis.«
    Nicht nur das Meer, dachte ich.
    Ich sagte kein Wort mehr.
    Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus …
    In den letzten Tagen hatte mir die Sehnsucht den Hunger genommen. Ich brauchte nichts mehr. Keine Nahrung, keinen Schlaf. Keine Musik. Das Geschwätz der anderen hörte ich nicht.
    Mein Blut schien langsamer durch meine Adern zu fließen, wenn ich morgens an den Strand lief und alle Menschen noch schliefen. Ich kannte jede Eidechse, wie sie scheu ihre Steine bewachte, die der Schatten jeden Abend ein bisschen früher kühlte. Ich kannte die Ginsterbüsche, in denen das Zirpen der Grillen kauerte.
    Meine Haut war braun und seidig kühl. Mein Haar hatte helle Strähnen bekommen und meine Augen die Farbe von Meer.
    Man konnte in ihnen ertrinken.
    Eines Tages würde er es tun.
    … flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus.
    Die letzten Atemzüge. Wenn die Sonne fast untergegangen war, saß ich auf dem kleinen Balkon, oben über dem Meer, und schaute den Fledermäusen zu. Wie köstlich, hier auf ihn zu warten. Sie umflatterten mich in ihren undurchsichtigen Zirkeln, nie da, nie fort.
    Die Hitze wich dem Rauschen der Silberpappeln und einer Vorahnung des Herbstes.
    Der Berg brannte, seit Tagen schon.
    Der Sonnenuntergang gehörte mir. Nur mir.
    Nie erreichte ich die Nebelschwaden auf dem Meer, wenn ich abends weit hinausschwamm. Noch ein paar Meter, dachte ich, noch zehn Züge, vielleicht zwanzig. Meine Beine wurden nicht müde. Meine Zehenspitzen testeten den kalten, tiefen Grund, so erquickend und labend.
    Jetzt konnte ich den brennenden Berg sehen, sobald ich mich umdrehte.
    Doch den Nebel, lockend und sanft, erreichte ich nie. Zu weit.
    Ich glaube, ich war glücklich.

A GAPE

W ECKRUF
    »Ellie, bleib jetzt mal

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