Dornenkuss - Roman
hier, bitte! Bitte!« Giannas Stimme wurde schrill. »Paul, halt sie fest!«
Sein Arm schnellte nach vorne und seine Finger schlossen sich fest und stark um mein Handgelenk, doch ich reagierte, wie ich es vor langer Zeit gelernt hatte, und befreite mich mit einer geschickten Drehung aus seinem Griff.
»Lass deine Flossen bei dir, Bruder«, warnte ich ihn. »Mein Gott, ihr tut ja so, als sei ich ein Schwerverbrecher. Ich will doch nur raus …«
»Du kannst gleich wieder raus«, sagte Gianna betulich. Sie sprach mit mir wie mit einem Idioten. »Jetzt wollen wir mit dir reden.«
»Ich wüsste nicht, was es zu besprechen gäbe, doch wenn es unbedingt sein muss, von mir aus. Aber macht schnell.«
Sie hatten sich regelrecht vor mir aufgebaut, in unserem schmalen Flur, Schulter an Schulter, und versperrten mir den Weg zur Tür, was lachhaft war, denn ich konnte mich genauso gut umdrehen und durch den Hintereingang verschwinden. Ich fand ihr Benehmen über die Maßen kindisch. Ich hatte ihnen nichts getan. Paul sah mich verständnislos an, doch eigentlich hätte ihm ein solcher Blick gelten müssen.
Ich wollte mich gerade ducken, um zwischen ihnen hindurchzuhuschen, als ein Klingeln ertönte, so laut, dass es in meinem Gesicht schmerzte. Ich zuckte zusammen und legte mir die Hände auf die Ohren.
»Er ist es …«, flüsterte Gianna erleichtert, nachdem sie ihr Telefon aus der Tasche gezogen und auf das Display geschaut hatte. »Hier, Ellie, für dich. Für dich, mach schon!«
Widerwillig nahm ich das Gerät entgegen, drückte es aber nicht ans Ohr, sondern hielt es einige Zentimeter von meinem Kopf weg. Ich würde auch so alles verstehen können.
»Elisabeth?«, tönte es mir entgegen. »Elisabeth, wie geht es Ihnen?«
Ich brauchte einige Sekunden, um die Stimme zuzuordnen, doch dann fand ich den entsprechenden Namen.
»Dr. Sand?«
»Ja, ich bin es. Wie geht es Ihnen?«, wiederholte er.
»Besser denn je.« Auf der anderen Seite entstand eine kleine Pause. Gianna stöhnte genervt und fuchtelte mit den Händen in meine Richtung, als würde ich etwas falsch machen.
»Elisabeth …« Dr. Sand räusperte sich umständlich. »Es gibt etwas Wichtiges, was ich mit Ihnen besprechen muss, hier in meiner Klinik, und ich würde es begrüßen, wenn Sie so rasch wie möglich nach Hamburg reisen könnten, es hat mit …«
In der Leitung begann es zu knistern und zu rauschen, wieder einmal eine Funkstörung, doch auch durchs Telefon witterte ich, wenn jemand log. Dr. Sand log mich an. Es gab nichts Wichtiges. Nicht in Hamburg und auch nicht im Rest von Deutschland. Ich wollte Gianna das Handy zurückgeben, aber sie drückte es mir grob ans Ohr.
»Rede mit ihm, Ellie, bitte!«
Doch die Funkstörung bestand immer noch. Nichts als Rauschen und Knacken. Ich zuckte mit den Schultern, legte auf und ließ das Handy auf den Boden fallen.
»Scheiße«, wisperte Gianna. »Dann eben Plan B.«
Plan B? Ich wollte zum zweiten Mal einen Versuch unternehmen zu flüchten, da ertönte aus dem Salon neben uns plötzlich ein merkwürdiges Scharren und Klicken. Hatten wir etwa Besuch?
»Bist du so weit?«, rief Paul, nachdem er an die Türe getreten war.
»Gleich. Ihr könnt schon reinkommen«, tönte es dumpf zurück.
»Hört zu, wenn es wieder darum geht, dass wir nach Hause fahren sollen …«, wählte ich in ruhigem Ton den Weg der Vernunft, vielleicht waren sie dafür ja empfänglich, »dann fahrt ihr doch nach Hause, ohne mich. Ich hab euch das schon einige Male gesagt. Niemand ist gezwungen hierzubleiben. Ich komme auch allein klar.«
Hatte es Paul die Sprache verschlagen? Wieso reagierte er auf nichts von dem, was ich sagte?
Gianna antwortete dafür umso eifriger. »Das ist nicht dein Haus, Elisa, du kannst hier nicht wohnen.«
»Du redest Blödsinn, natürlich kann ich das. Es steht sowieso leer und ich hab genug Geld, um es für die nächsten Monate zu mieten, dein Vater wird dankbar dafür sein. Ich gehe hier jedenfalls nicht weg. Das ist mein letztes Wort.«
»Aber nicht unser letztes Wort.« Gianna griff zur Seite und stieß die Tür des Salons auf. Sie scheuchten mich hinein wie ein ausgebüxtes Tier, das dringend zurück in seine Herde sollte. Ich fand es entwürdigend, ließ ihnen aber ihren Spaß. Wenn es mir zu blöd wurde, konnte ich aus dem Fenster krabbeln.
Ich lachte trocken auf, als ich sah, was das Rumpeln verursacht hatte. Die Möbel waren zur Seite gerückt worden, stattdessen standen ein paar
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