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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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nach der Tragfähigkeit des Wassers, als ich umständlich aufstand; es war so viel leichter, sich im Wasser zu bewegen als hier auf der Erde, deren Anziehungskraft mich sämtliche Energie kostete.
    Jetzt ein weiteres Mal hinauf auf die Leiter, mit dem Buch in der Hand? Ich musste es versuchen. Ich klemmte den Wälzer unter meinen rechten Arm und zog mich Stufe für Stufe nach oben, wobei die Leiter zu rappeln und zu schwanken begann und einmal so weit zur Seite kippte, dass sie nur noch auf einem ihrer vier Füße stand. Ich schwitzte aus allen Poren; immer wieder rutschten meine Finger von den Sprossen ab und ich fand es nicht nur überflüssig, dass meine Haut so viel Schwäche zeigte, sondern auch ärgerlich. Da war überhaupt keine Stabilität unter mir, mein Körper machte mit mir, was er wollte.
    Trotzdem wusste ich sofort, dass das grollende Rumpeln, das sich aus dem Kern des Erdballs erhob und in kurzen, brutalen Wellen zu uns Menschen hochwanderte, um uns durcheinanderzuschütteln wie Zikaden in einem Einmachglas, nichts mit meiner Ungeschicktheit zu tun hatte. Schon in der Sekunde zuvor war es unnatürlich still geworden, ein prägnantes Aussetzen der nächtlichen Geräusche von draußen, sogar der laue Nachtwind hatte sich gelegt. Ich hielt mich an der Leiter fest, während sie langsam nach hinten kippte und mich mit sich riss, bis ich kapierte, dass das kein guter Plan war, denn so konnte sie mich erschlagen. Im letzten Moment ließ ich los, gab ihr einen Stoß zur Seite und krachte mit dem Rücken auf den altertümlichen, dunkelgrün bezogenen Lesesessel, während der gesamte Raum zu vibrieren begann und die Bücher wie in Zeitlupe aus den hohen Regalen um mich herum fielen. Selbst schwere Lederbände und Lexika trudelten durch die Luft, als habe eine überdimensionale Hand gegen sie geschlagen.
    Durch meinen Aufprall wurde die verstellbare Fußstütze des Sessels nach oben geklappt und meine Beine wie in einem Gynäkologenstuhl hochgewuchtet, eine unwürdige Haltung, die mich an eine Situation erinnerte, die ich schon einmal erlebt hatte, aber ich kam nicht darauf, wo und wann … Genau das war mir passiert, die Fußstütze eines Sessels war nach oben geschnellt, jemand war bei mir gewesen und hatte mich ausgelacht und ich war wütend auf diese Person gewesen … Aber wer? Wo und wann?
    Verdammt, das war doch jetzt nicht wichtig, ich befand mich in einem hohen runden Raum voller Bücher, die Erde bebte und noch war ich sterblich; wenn ich Pech hatte, würden sie mich unter sich begraben! Ein glänzender Bildband mit metallbeschlagenen Ecken fiel haarscharf neben meiner Schulter zu Boden, dann folgte eine Kaskade dünner Taschenbücher, die sich über meinen Kopf ergoss. Ich senkte meine Stirn, um meine Augen vor ihren Kanten zu schützen.
    Doch in dem Moment, als das Wackeln und Rütteln unter mir auch die dicken, ledergebundenen Handschriften aus ihrem Regal reißen wollte, beruhigte sich die Erde schlagartig und das Grollen verstummte so schnell, wie es gekommen war. Ich krallte mich an den Armlehnen fest und sah zu, wie ein letzter Schwung Noten durch die Luft segelte und ihre Seiten sich raschelnd öffneten, bevor sie sich zu den Büchern am Boden gesellten und wie abgeschossene Tauben liegen blieben.
    Raus hier, beschloss ich. Raus hier, und zwar ganz schnell, bevor ich wieder träge und schläfrig wurde. Ich brauchte nicht nach oben zu sehen, um meinen Verdacht zu bestätigen, ich hatte es trotz des Rumpelns und Grollens deutlich gehört und ich hatte mir auch nicht eingebildet, dass Staub auf meine Haare und in meine Augen gerieselt war. Die Decke hatte einen Riss bekommen, sie fing an, sich über mir zu öffnen. Dieses Haus war alt, womöglich bebte die Erde in diesem Landstrich öfter und irgendwann würden seine Mauern diesen Erschütterungen nicht mehr standhalten können. Vielleicht jetzt schon.
    Auf Zehenspitzen und wankend wie im Vollsuff bahnte ich mir einen Weg durch die Bücher und gelangte in den Salon. Auch er war in Mitleidenschaft gezogen worden. Geschirr war aus der offenen Vitrine gefallen und zerbrochen, ich roch ausgelaufenen Alkohol, außerdem waren beide Gardinenstangen aus ihrer Halterung gerissen worden, sodass die Vorhänge ohnmächtigen Spukgestalten gleich auf den Fliesen lagen.
    Rennen konnte ich nicht, doch immerhin brachte ich es fertig, meine Schritte trotz des ständigen Knirschens in meinen Gelenken auf ein vernünftiges und der Situation angemessenes Tempo zu

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